Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Schattenseite einer Kaserne in St. Petersburg dreimal mehr Erkrankungen vorkommen, als auf der Lichtseite desselben Gebäudes.

Die Berücksichtigung derartiger, in jeder Gemeinde wieder anders sich verhaltender Momente gibt denn auch den Schlüssel zur Erklärung der, auf den ersten Blick oft so auffallenden Verschiedenheit des physischen und psychischen Zustands der Bewohner von anscheinend unter ganz gleichen äußeren Verhältnissen befindlichen, verschiedenen Ortschaften, und so legte sich z. B. auch im Bezirke Br. die Frage nahe, wie es kommt, daß in den beiden, am nördlichen Fuße des Strombergs befindlichen, offenbar in den meisten der mit dieser Lage zunächst zusammenhängenden Beziehungen ganz gleich situirten Dörfern, in Cleebronn keine, in Eibensbach aber zahlreiche entartete Menschen gefunden wurden. Luft, Licht, Wasser, Untergrund u. s. w. werden bei beiden Orten gleich sein; aber der soziale Untergrund ist ein anderer; man hatte und hat in Cleebronn besser zu leben, die Mütter konnten sich ihren Kindern eher widmen – ihre Verhältnisse gestatteten es, der bleierne Druck der Armuth zwang sie nicht, ihre Kinder zu vernachlässigen, daheim liegen zu lassen und der Arbeit, dem Verdienste nachzugehen, ihnen schlechte, ungeregelte Nahrung zu geben; die größere Bevölkerungszahl des Orts forderte in Cl. eher Vergleichung mit andern Haushaltungen und deren Kindern heraus, eine gewisse gegenseitige Eifersucht auf den Besitz gesunder, kräftiger Kinder wurde wach erhalten, man befragte sich, warum da und dort die Kinder besser aussehen, man wollte nicht hinter jenen zurückstehen u. s. w. Auch schon bezüglich der Heirathen waren in Cl. günstigere Chancen: die Gemeinde war größer, die Auswahl für Ehestandskandidaten bedeutender: Cleebronner kamen mehr mit der Außenwelt in Berührung, schon wegen der Verwerthung ihrer entbehrlichen Produkte, als das kleine, kaum auswärts den Käufern bekannte, von der Hand zum Mund lebende, Eibensbach; Fremde zogen herein nach Cl., Cleebronner hinaus, – so wurde immer die Race etwas aufgefrischt, gemischt, während in E. eine Stagnation herrschte, Niemand herein, Niemand hinauszog, in der Lebensweise, in der Art zu wohnen u. s. w. Alles sich gleich blieb, es mochte so schädlich sein, als es wollte: es fehlte an der Vergleichung mit Zuständen anderwärts, an Beispielen besserer Verhältnisse.

Kein Wunder, wenn die allgemeine Erfahrung, daß so ziemlich überall, wo Armuth im Bunde mit schlechten, feuchten, unreinlichen Wohnungen, mit Unachtsamkeit der Bewohner zusammentrifft, die Folgen solcher Mißstände in einer Entartung des Menschen gipfeln, auch in E. zutraf, das war der fruchtbarste Boden für die Entwicklung der Rhachitis der Kinder, für die Entstehung von Kropf, und wenn die der englischen Krankheit eigenthümliche mangelhafte und fehlerhafte Knochenbildung schon im 1. Lebensjahre die Gehirnentwicklung häufig

Empfohlene Zitierweise:
Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Brackenheim. H. Lindemann, Stuttgart 1873, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OABrackenheim0083.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)