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von neuem verjüngt, dem Boden entkeime. Doch ich – ich weiß nichts von diesen Freuden, ich kenne sie nur vom Sehen, nicht vom eigenen Fühlen und Empfinden; mich, Allvater hast du nicht würdig befunden der Mutterwonne, mir hast du das Glück versagt ein Kind zu besitzen, dies süße Band, das Vater- und Mutterherz in Eintracht und Liebe einigt, das mit seinem Athem schon die Zwietracht zwischen ihnen löscht, und den Frieden in ihr Haus einkehren macht, und wenn das Alter kommt, das kalte, blüthenlose, und ihr Herz zu verschrumpfen drohet, dann ist ihr Kind ein blüthenvolles Reis, in dessen warmem Leben, in dessen frischer Liebe sie von neuem sich verjüngen.

Wie Hanna, die kinderlose, ihr schweres Leid, ihr Wünschen und ihr Hoffen vor dir ausgeschüttet im inbrünstigen Gebet; so stehe auch ich vor dir, mein Gott, in der Fülle meines Kummers und meines Grames, und wie ihr bitteres Weh, vor dich, Allvater, gelangt ist, und du die Unfruchtbare zur frohen, beglückten Mutter hast gemacht, so möge auch ich Gewährung und Erhörung bei dir finden! O laß auch meinen Lebensbaum aufgehen zur süßen Blüthe, mein leeres Haus sich füllen mit Kinderfreuden, mein eheliches Leben sich schmücken mit dem Kindersegen.

Doch, wenn du in deiner unerforschlichen Allweisheit es beschlossen, meine Ehe kinderlos zu lassen, dann, Vater, flehe ich dich heiß und inbrünstig an, um Kraft und Muth, meine Wünsche deinem erhabenen Willen zu unterordnen; daß ich in Demuth und Ergebenheit deine Fügung und Schickung verehre, und mir stets bewußt bleibe, daß du nicht nur durch das, was du uns gewährst, sondern auch durch das, was du uns versagst, unser Heil begründest. Laß mich stets eingedenk bleiben, dass, wenn du auch Mutterfreuden mir versagst, es noch gar mannigfache Freuden gibt, die du mir in deiner Allgüte schon gewährt hast und noch täglich neu gewährst; laß mich stets eingedenk sein, dass, ob auch die Mutterpflichten meinem Leben abgehen, es darum doch kein zweckloses und verlornes sei, sondern viele andere, nicht minder heilige, nicht minder beglückende Pflichten und Bestimmungen an mein Dasein sich knüpfen: die Pflichten einer liebenden Gattin, die Pflichten einer sorgsamen Hausfrau, die Pflicht Mutter zu sein dem Dürftigen, dem Bedrängten, Mutter zu sein dem verlassenen Waisenkinde, – damit ich mich mit aller meiner Kraft dieser erhabenen Aufgabe widme und darin meinen Trost und meine Freude suche und finde. Also sei dein göttlicher Wille! Amen.


Empfohlene Zitierweise:
Fanny Neuda: Stunden der Andacht. Wolf Pascheles, Prag 1858, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neuda-Stunden_der_Andacht-1858.pdf/98&oldid=- (Version vom 1.8.2018)