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hin, ohne Murren, ohne Klage und ohne Frage. Auf Gottes Ruf antwortet er freudig: Vater hier bin ich! – O, ich fühle es an dem Pochen meines Herzens beim Gedanken an mein Kind, wie des Vaters Brust sich zusammenschnüren mußte, bei dem Gedanken, auf immer von seinem Kinde zu scheiden. Alle Wünsche und Hoffnungen seines väterlichen Herzens legt er zugleich mit ihm auf den Altar nieder. Was bleibt dem alten Vater, der sein einzig Kind dem Tode in die Arme legt? Doch er, ohne Schwanken und Zaudern folgt er der göttlichen Stimme und zum Opfer ruft er seinen Sohn.

Und Jizchak selber, in der schönsten Blüthe seiner Tage, gewöhnt an die Liebe seines Vaters, der ihn auf den Händen trug, und an die Zärtlichkeit einer Mutter, die auf den leisesten Wunsch seines Herzens lauschte – dieser glückliche Jüngling, für den die Erde so schön und das Leben so herrlich sein mußte, er widerspricht nicht, er murrt nicht, er ist das Lamm, das Gott sich ausersehen, das genügt, um seinen Nacken willig dem Opfermesser hinzuneigen und freudig in den Tod zu gehen.

Was ist wohl größer, was nachahmungswürdiger, als diese erhabene, sich selbst vergessende Hingebung, womit Abraham sein kostbarstes Lebensgut, Jizchak das Leben selber Gott darbringt! – Und der Geist der Liebe, der eine solche innige Hingebung bewirkt, er sei mein Ziel und Strebepunkt, ihm will ich öffnen Herz und Seele. Gib o Gott, daß er darin einziehe, darin herrschend werde, und auf all mein Denken und Fühlen, auf all mein Thun und Lassen seinen wohlthätigen Einfluß übe.

Denn nur die Liebe macht stark zu jeglichem Opfer. – Wenn ich die Liebe zu Gott im Herzen trage, dann gehe ich unverwandt und frohen Muthes des Herrn Wege, wenn auch der müde Fuß über schroffe Klippen muß, wenn auch Stein und Dorn ihn blutig ritzen, und freudig erfülle ich des Herrn Gebote, wenn sie auch Manches von mir verlangen, was mir schwer dünkt, Manches von mir fordern, was meinen weltlichen Vortheilen und Interessen entgegen zu sein scheint, was meinen liebsten Neigungen zuwider sein mag! Die Liebe ist stark, sie hilft mir tragen und überwinden und wo der Herr das Opfer heischt, da rufe ich freudig: Vater hier bin ich.

Und wenn die Liebe zu meinen Nebenmenschen mich beseelt, wenn sie wahrhaft mein Inneres erwärmt, wie erhebt und veredelt sie dann mein Herz, mit welcher Freude eile ich, meinem Nächsten

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Fanny Neuda: Stunden der Andacht. Wolf Pascheles, Prag 1858, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neuda-Stunden_der_Andacht-1858.pdf/74&oldid=- (Version vom 1.8.2018)