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und ihn eingesetzt zum Allerheiligsten im Jahre, daß wir an ihm durch eine ernste Prüfung, durch eine strenge Anschauung unsrer selbst das wieder finden, was uns so oft im Rausche und Getümmel des Lebens, unter den Eindrücken und Einflüssen der Welt verloren geht: unser besseres Ich – unsern frommen Sinn – unser kindliches Herz – unser gläubiges Gemüth! Damit durch ihn die Scheidewände fallen, die das Geschöpf vom Schöpfer trennen, die des Kindes Gemüth fern halten von des Vaters Herz, des Kindes Ohr verschließen für des Vaters Wort, dem Blick des Kindes entziehen des Vaters liebevolles Angesicht.

Wie schwer wir auch gesündigt, wie tief wir auch gefallen, wie weit wir von der rechten Bahn abgekommen; deine Huld und Gnade eröffnet uns den Weg zur Erhebung, zum Wiedereintritt in die Gemeinschaft der Frommen und Gerechten; und so wir in Reue und Buße zu dir uns wenden, haben wir die selige Verheißung: „An dem Tage sollet ihr versöhnet werden, rein und frei von jedem Sündenfleck und Makel; vor dem Ewigen, euerem Gotte sollt ihr rein sein.“

So mögen denn, Allvater, meine Thränen vor dich gelangen; mögest du mein Gebet, das in heißer Inbrunst zu dir aufsteigt, wohlgefällig aufnehmen, und Schuld und Sünde von mir nehmen in deiner Barmherzigkeit, daß mich deine Huld umschwebe wie in den früheren Tagen meiner Unschuld, daß sich meine Seele frei und froh zu dir erhebe in dem seligen Bewußtsein deiner wiedererrungenen Liebe und Gnade! Mögest du mich stärken in meinem Streben zum Guten und deinen Schutz walten lassen über mich und Alles, was mir angehört. Amen.


Am Morgen des Versöhnungstages.[1]

„Ich bekenne meine Sünden dir,
Will mein Vergehen nicht bemänteln.
Ich sprach: Meine Missethat gesteh ich dem Herrn,
Und du vergabst mir meiner Sünden Zahl.“
 (Ps. 32, 4.)

Der Morgen des geheiligten Tages ist herangebrochen und wieder stehen wir vor dir versammelt, um das Werk der Sühne


  1. Der zehnte Tischri ist ein Fast- und Bußtag, der Selbstprüfung, der Einkehr in sein Gemüth, der Versöhnung mit Gott, mit der Welt und mit sich selber gewidmet.
Empfohlene Zitierweise:
Fanny Neuda: Stunden der Andacht. Wolf Pascheles, Prag 1858, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neuda-Stunden_der_Andacht-1858.pdf/63&oldid=- (Version vom 1.8.2018)