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Gebet einer Mutter für das kranke Kind.

„Ach, mein Gott, mein Gott, schick’ Hilfe mir.”
 (Ps. 118, 25.)

Mein Gott! Angst und Weh durchdringt mein Herz und voll tiefen schweren Leids hebe ich meine Hände zu dir empor! Du allein, mein Schöpfer, der du das Menschenherz geschaffen und seine zartesten Saiten tönen hörst, du allein weißt, welche Gefühle ein Mutterherz bewegen, welch ein Heer von Schmerzen für sie in dem Gedanken liegt: mein Kind ist krank, mein Kind in Gefahr.

Zu dem Throne deiner Gnade flüchte ich mich in meiner Noth, Allbarmherziger, unter deinem Schirm will ich mich bergen vor der Gewalt meines Kummers und meiner Angst. O Herr, nimm mich gnädig auf, laß mich schauen deine Liebe und dein Erbarmen, gib meine Seele nicht preis der Angst und mein Herz dem Grame. Erhalte mir mein Kind, laß es gesunden und gedeihen. Mit tausend Fäden hängt meine Seele an der seinigen, es ist mein Blut, mein Fleisch, mein Leben; mit Liebe und Schmerzen habe ich es unter meinem Herzen getragen, mit Liebe und Schmerzen es geboren und erzogen, es gepflegt und gehegt, mit Angst und Liebe jede Stunde seines Lebens bewacht, und in heißer Angst und Liebe fließen heute meine Thränen, schreiet mein Herz zu dir empor: Erbarme dich, Allvater, erbarme dich, schenke mir wieder mein Kind, diese zarte kaum vom Tageslicht berührte Blume; laß mich wieder sehen sein freundliches Lächeln, wieder sehen sein kindlich frohes Spiel, und alle Tage meines Lebens will ich dir danken, und alle meine Kräfte will ich vereinen, um mein Kind zu erziehen zu deinem Wohlgefallen, daß sein Leben werde ein dir geweihtes, daß dein heiliger Name unauslöschlich eingegraben stehe in seinem Herzen, und es lerne dich verehren und anbeten sein Leben lang! Allvater, verwirf mich nicht, straf mich nicht um meiner Sünden willen, züchtige mich nicht in deinem Zorne. Vergib gnädig mir meine Schuld um der Unschuld meines Kindes willen, erhalte mir sein schönes Leben, dieses so reine fleckenlose Leben, das durch seinen hellen Schein mein Herz und mein Haus verklärt und heiligt, und mit reinen seligen Freuden erfüllt. Erhöre, Allgütiger, mein heißes inbrünstiges Flehen. Allerbarmer, sende mir deine Hilfe, wie ich auf dich hoffe und vertraue. Amen.

Empfohlene Zitierweise:
Fanny Neuda: Stunden der Andacht. Wolf Pascheles, Prag 1858, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neuda-Stunden_der_Andacht-1858.pdf/109&oldid=- (Version vom 1.8.2018)