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Neue Männer


Vor kurzem wurde gemeldet, der gegenwärtige Generalintendant der Dresdener Oper, Geheimrat Adolph, müsse zurücktreten, weil er die neue, zu einem Text des Juden Stefan Zweig komponierte Oper von Richard Strauss angenommen habe. Strauss soll das Werk inzwischen zurückgezogen haben. Ob die Einzelheiten dieses Vorfalles der Oeffentlichkeit richtig mitgeteilt wurden, bleibe dahingestellt. Ist die Begründung für Adolphs Rücktritt wahr, so wäre Adolph der zweite Generalintendant, der über eine Oper von Strauss fällt. Der erste war Graf Hochberg, ehemals Generalintendant der Preussischen Hoftheater als Nachfolger Bothos und Vorgänger Georgs von Hülsen. Hochberg musste seinen Abschied nehmen, weil er Straussens „Feuersnot“ hatte aufführen lassen. In diesem Stück wird das in der ganzen Stadt durch einen Fluch erloschene Feuer dadurch wieder entfacht, dass die widerspenstige Bürgermeisterstochter Diemuth sich dem jungen Zauberer Konrad ergibt. Dieser Augenblick ist mit einer jeden Zweifel ausschliessenden, sozusagen physiologischen Drastik in der Musik dargestellt. Der Vorgang verursachte einer Hofdame der bigotten und sittenstrengen Kaiserin eine so unruhige Nacht, dass Hochberg gehen musste.

Ein Generalintendant kann also aus verschiedensten Anlässen Missfallen erregen, nur nicht aus Mangel an Fähigkeiten. Andernfalls wären im Dresdener Falle keinerlei Erklärungen nötig. Adolph ist eine Verlegenheitsfigur, die man beim Umsturz und der plötzlichen Verabschiedung von Reucker an den Repräsentantenplatz befohlen hatte. Verstanden hat der aus Verwaltungsbezirken stammende Mann nichts von den Dingen seines Amtes, getan hat er auch nichts. Er war eine dekorative Puppe, wie sie gegenwärtig als Würdenträger besonders begehrt sind.

Der Vorfall regt indessen an zu einem kleinen Umblick über Nam’ und Art einiger Männer, die der neue Staat an die Spitze grosser deutscher Theater gestellt hat. Dabei sollen die Ereignisse der ersten Wochen nicht als Masstab genommen werden, obwohl sich Vorkommnisse abgespielt haben, die mit der Bezeichnung hanebüchen noch liebevoll nachsichtig charakterisiert wären. So wurde in Kassel ein halbwegs invalider Operettentenor – S.A.-Häuptling natürlich – zum Intendanten proklamiert. Nachträglich ergab sich, dass er sich ohne Berechtigung ein E.K. 1. Kl. zugelegt hatte. Da diese Feststellung mit einem Eklat erfolgte, war der tüchtige Krieger als Intendant nicht mehr zu halten. Man liess ihn aber nicht etwa in der Versenkung verschwinden, sondern kommandierte ihn zum Trost als Regisseur an das ehemals immerhin achtbare Opernhaus Frankfurt a. M. Belustigend waren auch die Vorgänge an der Berliner Stadtoper, deren Intendantenposten Otto Lange, berüchtigt als ehemaliger Direktor der „Volksoper“, im Handstreich zu nehmen gedachte. Dabei hatte dieser unternehmende Mann freilich nicht mit der Diplomatenkunst des auf den gleichen Posten spekulierenden Max von Schillings gerechnet, der ihn wieder sanft kaltstellte und sich selbst dort den Thron erbaute.

Episoden dieser Art haben sich vielfach ereignet. Soweit sie nachträglich korrigiert wurden, mögen sie auf das Konto „Revolutionsüberraschungen“ gesetzt werden. Wie aber sieht das Bild heute aus? In München hatte bis vor kurzem der Edle von Frankenstein im Auftrage der Republik die Erinnerung an schönere monarchische Zeiten wachgehalten. Man hat ihn jetzt mitsamt den Erinnerungen abgesägt. Sein Posten ist vakant, so dass nun zwei der grössten deutschen Bühnen: Dresden und München führerlos sind. In Stuttgart regiert heute ein Mann namens Karl Kraus als Generalintendant. Er war vordem Regisseur, der allerorts durch die Verbindung von erstaunlicher Unbegabtheit und Dreistigkeit auffiel. In seinem letzten republikanischen Engagement an der Berliner Stadtoper war er wegen Unbrauchbarkeit gekündigt worden. Eben hatte er das Bühnenschiedsgericht zu Hilfe gerufen, als das Dritte Reich ausbrach. Selbstverständlich gehörte er seit langem der S.A. an. Also ersetzte er zunächst den nämlichen Intendanten, der ihm das Weiterengagement verweigert hatte und gelangte kurz darauf als geborener Schwob und Mann mit württembergischen Beziehungen nach Stuttgart. Wiesbaden wurde ein angenehmer Rentnerposten für den Vater des Reichsjugendführers von Schirach. Es wird darüber gestritten, ob er seine Stellung mehr dem Einflusse seines Sohnes oder dem der früheren Weimarer Schauspielerin und nunmehrigen Göring-Freundin Sonnemann zu danken hat. 1918 in Weimar von der Bildfläche verschwunden, war der alte Herr nach 14 Jahren beschaulicher Ruhe wohl würdig, wieder aus der Ahnengalerie der einstigen Hoftheater-Intendanten hervorgeholt zu werden.

Ein unbeschriebenes Blatt – sozusagen – ist der neuernannte Intendant der Berliner Stadtoper, Wilhelm Rohde. Als Sänger hatte er eine angenehme Stimme, Intelligenz freilich war seine Sache nicht. Vermutlich hat ihn Göbbels eben deswegen für diese wichtige Stellung als geeignet befunden. Wiederaufgetaucht, zunächst nur unter den Intendantenkandidaten, ist Hans Niedecken-Gebhard. Er war bereits vor Jahren in Münster, konnte sich aber dort nicht halten und wurde auch in Kassel abgelehnt wegen gewisser Neigungen, die neuerdings regierungsamtliche Publizität erlangt haben. Der Fall ist deswegen bemerkenswert, weil der vordem linksradikale Niedecken-Gebhard anscheinend in diesem Zusammenhang jetzt seine nationalsozialistische Veranlagung entdeckt hat.

Dieses sind einige wenige der Neuerscheinungen. Das allgemeine Bild wird durch sie nicht erschöpfend, doch in den Grundzügen treffend gekennzeichnet. Familiäre oder persönliche Protektion ohne irgendwelche sachliche Anforderungen sind ausschlaggebend, individuelle Menschen scheiden grundsätzlich aus. Zu den neuen Männern dieses Schlages kommen noch ein paar Veteranen der republikanischen Garde, an ihrer Spitze Heinz Tietjen, der Berliner, Berg-Ehlert, der Breslauer Generalintendant. Wenn auch im allgemeinen die Tatsache, dass sie sich überhaupt gehalten haben, genügend Auskunft über diese Helden gibt, so ist doch Tietjen als besonderes Phänomen hervorzuheben. Gewiss dankt er sein Bleiben hauptsächlich dem Einfluss der langjährigen Hitlerfreundin Winifred Wagner. Da seine Berufung ausschliesslich das Werk des jüdischen Sozialisten Leo Kestenberg und er seit Jahren der erklärte Günstling zweier sozialdemokratischer Fachminister und des Ministerpräsidenten Otto Braun war, so ist sein Weiteramtieren zunächst nur durch das stille Wirken höherer Mächte zu erklären. Aber man muss anerkennen, dass dieser Entschluss der Nazis absolut dem Sinne ihrer eigenen Forderungen entspricht, denn ein charakterloseres Geschöpf als dieser Mann wäre auch unter den erprobten Mitgliedern der Hitlerpartei nicht aufzutreiben gewesen.

Indessen – es ist schwer, hier Wertunterschiede festzustellen. Ob sie nun eine linke oder eine rechte oder gar keine Vergangenheit haben – Kreaturen sind sie alle, müssen sie alle sein, Göbbels-Kreaturen. Das ist die Grundforderung, die das neue Theatergesetz an den deutschen Intendanten stellt.



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Paul Bekker: Musik (Artikel für das Pariser Tageblatt). , Paris 1934–1937, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Musik_(Artikel_f%C3%BCr_das_Pariser_Tageblatt).pdf/40&oldid=- (Version vom 1.8.2018)