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Musikalischer Urheberschutz


Es ist eine der vielen nationalsozialistischen Charakterlosigkeiten, dass der Hitler-Staat die Reform des musikalischen Urheberrechtes in sein Programm aufgenommen hat.

Es handelt sich dabei um einen Köder, durch den man die Gefolgschaft angesehener Musikergruppen erkauft hat, namentlich des seit jeher um Tantiemenförderung besorgten Richard Strauss. Also ist die Stellung der heutigen Regierung zum musikalischen Urheberrecht eigentlich die Gegenerscheinung zu den wirtschaftlichen Konzessionen an die Grossindustrie und eine Preisgabe der eigenen sozialistischen Tendenzen. Wenn irgend etwas, so ist der Begriff des „geistigen Eigentumes“ eine Sonderblüte „liberalistischen“ Denkens, und zwar eine, über deren Schönheit auch grundsätzlich demokratisch eingestellte Menschen im Zweifel sein müssen, denn hier zeigt sich die individualistische Anschauung tatsächlich in einer sehr anfechtbaren Ueberspitzung. Es ist ein besonderer Geschichtswitz, dass der Nationalsozialismus sich in seiner geistigen Hilflosigkeit zum Organ derer macht, die diese Ueberspitzung noch überspitzen wollen.

Es kann hier keine geschichtliche Ableitung des Begriffes „geistiges Eigentum“ gegeben werden. Wohl aber ist zu erwähnen, dass dieser Begriff, in seiner Anwendung auf die Musik und mit wirtschaftlicher Nebenbedeutung, kaum 200 Jahre alt ist. Kein Musiker hätte zu Bachs Zeit geglaubt, eine Melodie sei persönliches Eigentum oder gar Handelsobjekt. Man nahm, wo man fand. Im übrigen waren Produktions- und Vertriebsbedingungen zu jener Zeit, wo die Vervielfältigung noch wenig üblich war und alle sozialen ökonomischen Bedingungen ausser Vergleich mit den gegenwärtigen standen, so grundanders als heute, dass es zwecklos wäre, darauf näher einzugehen. Genüge die Feststellung: der Begriff des geistigen Eigentumes in der Musik ist erst ein Erzeugnis des ausgehenden 18. Jahrhunderts, also der liberalistischen Wirtschaftsepoche, ihrer Anerkennung des individuellen Wertes und der Persönlichkeitsprägung. Beethoven war der erste Musiker, für den die Verlagshonorare Existenzgrundlage bildeten.

Aber selbst der Liberalismus ist sich darüber klar gewesen, dass hier ein Problem vorliegt. Die gesetzliche Regelung bedeutete daher für ihn bei der Natur der Objekte mehr einen Ausweg, als eine Lösung. Diese Regelung, lange umstritten und oft verändert, gewährt dem Autor lebenslängliche Anteile, den Erben des Autors – und damit auch dem Verleger – bis 30 oder 50 Jahre nach dem Tode des Urhebers das Nutzniessungsrecht.

Damit sollte dem musikalischen Urheber geradeso ein Erbnutzniessungsrecht zugebilligt werden wie etwa dem Gründer einer Fabrik. Der Vergleich ist nicht nur hinkend, sondern überhaupt falsch. Abgesehen von anderen Einwendungen: eine Sinfonie ist mit dem Tage ihrer Vollendung fertig für alle Zeiten, die Fabrik fordert stetigen Weitereinsatz der Kräfte. Es handelt sich also bei der Nutzanwendung auf geistiges Eigentum und Erbrecht nur um eine behelfsmässige Uebertragung des Eigentumsbegriffes, bei der man sich vor allzu weitgetriebenen Konsequenzen hüten muss.

Die Tendenz bei den Verfechtern der Urheberrechtsreform um Richard Strauss herum geht indessen dahin, diesen Eigentums- und Erbrechtsgedanken bis zur äussersten Folgerung zu realisieren, also die Kunstschöpfung absolut als Kapitalswert zu betrachten und dementsprechend gesetzlich zu behandeln. Ein Gedanke, den man natürlich als logische Anschauung diskutieren kann, der aber in schärfstem Gegensatz ebenso zu jeder sozialistischen wie staatsautoritären Anschauung steht.

Es ist hier keine Entscheidung zu treffen zwischen diesen beiden Gegensätzen: dem Kunstwerk als erblichem Privateigentum, dem Kunstwerk als Gemeinschaftsbesitz. Beide Auffassungen sind Einseitigkeiten, beide sind haltlos wegen der Unanwendbarkeit des kaufmännischen Eigentumsbegriffes auf künstlerisches Schaffen. Beethoven hat das Richtige getroffen, als er, ermüdet und angewidert von Verhandlungen mit Verlegern, ausrief, es müsste eine Stelle geben, wo der Musiker seine Kompositionen hinbringt, um dafür zu empfangen, was er zum Lebensunterhalt braucht. Eine schöne und ideale Lösung. Ihre strikte Anwendung setzt freilich voraus, dass alle Musiker Beethovens seien und sich ausserdem mit dem Nötigen begnügen. Aber sie trifft den Kern des Problemes: dem schaffenden Menschen muss Lebensmöglichkeit gegeben werden, wie er sie braucht, ohne individuelle Kapitalisierung des Werkes im Geschäftssinne.

Das Mittel hierzu bieten die prozentualen Abgaben von den Verlags- wie von[1] Aufführungseinnahmen in Oper und Konzert. Gegenwärtig ist man bemüht, die dafür angesetzte Schutzfrist in Europa allgemein auf 50 Jahre zu erhöhen (in Frankreich ist das seit jeher der Fall). Man sollte indessen anderes tun, freilich mit anderer Zielsetzung. Man sollte die „Schutzfrist“ für alle Zeiten, auch rückwirkend, obligatorisch machen. Nicht jedoch zum Vorteil der Autoren oder gar ihrer Erben, sondern zugunsten wirklich der Künstlergemeinschaft, die erst durch den Zusammenfluss solcher Mittel in die Lage versetzt würde, die Arbeit der Lebenden zu entlohnen. Die Toten bedürfen keiner Honorare, und ihre Erben mögen selbst arbeiten.

Man sage nicht, das ergäbe eine neue dauernde Besteuerung des Publikums. Solche Besteuerung besteht ständig. Sind etwa die Plätze zu Wagner-Aufführungen billiger geworden seit dem Erlöschen der Autorenrechte? Die Preispolitik der Theater hat nichts mit der Schutzfrist zu tun und ist absolut unabhängig von Tantiemeforderungen. Wenn die Klavierauszüge tatsächlich wohlfeiler wurden, so geschah auch das nicht, weil die Autorenanteile fortfielen, sondern weil die drohende Konkurrenz zur Angleichung der Preise an die wirklichen Kosten zwang und damit die willkürlichen Gewinn-Fixierungen aufhob, die das Privileg ermöglichte. Wer also hat heut den Vorteil vom Erlöschen der Schutzfrist, wer ist der lachende Erbe? Nicht das Publikum, nicht der Theaterbesucher, oder das „Volk“. Nur Verleger, Theater und Konzertinstitute. Sie sparen die Abgaben. Wer ist Millionär geworden an Beethoven? Breitkopf und Härtel. Warum müssen sie profitieren, warum nicht die Allgemeinheit jederzeit, unter Verpflichtung zur sachgemässen Entschädigung der heut lebenden und schaffenden Urheber?

In der Bemessung dieser Entschädigung liegt die zweite Aufgabe. Ist es nötig, dass einzelne Komponisten durch geschickte Spekulation Multimillionäre werden, während andere hungern? Fürchtet man, der Produktionstrieb werde aufhören, wenn der Reiz des fantastischen Verlagsvertrages nicht mehr winkt?

Wir wollen das nicht annehmen, sondern jenes Beethoven-Worts eingedenk bleiben. Es deutet den Weg zur richtigen Lösung. Alle heutigen Versuche dagegen zur Festigung der kapitalistischen Stellung des Autors sind Irrwege. Sie sind nicht nur sozialpolitisch falsch, sondern sie gehen von einem Grundirrtum aus, nämlich von der Einordnung des geistigen Eigentums in die Wertbegriffe des Kapitalrechtes.



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Paul Bekker: Musik (Artikel für das Pariser Tageblatt). , Paris 1934–1937, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Musik_(Artikel_f%C3%BCr_das_Pariser_Tageblatt).pdf/36&oldid=- (Version vom 1.8.2018)