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Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. In: Morgenblatt für gebildete Leser, Nr. 96-111

konnten in Gottes Namen gerade aus, und wie es dämmerte, waren wir wirklich auf dem rechten Wege nach P.“

Johannes schien noch vor der Erinnerung zu schaudern, und der Gutsherr dachte an seinen seligen Kapp und dessen Abenteuer am Heerser Hange. – „Sonderbar!“ lachte er, „so nah wart ihr einander! aber fahr fort.“ – Johannes erzählte nun, wie sie glücklich durch P. und über die Grenze gekommen. Von da an hatten sie sich als wandernde Handwerksbursche durchgebettelt bis Freiburg im Breisgau. „Ich hatte meinen Brodsack bei mir,“ sagte er, „und Friedrich ein Bündelchen; so glaubte man uns.“ – In Freiburg hatten sie sich von den Oesterreichern anwerben lassen: ihn hatte man nicht gewollt, aber Friedrich bestand darauf. So kam er unter den Train. „Den Winter über blieben wir in Freiburg,“ fuhr er fort, „und es ging uns ziemlich gut; mir auch, weil Friedrich mich oft erinnerte und mir half, wenn ich etwas verkehrt machte. Im Frühling mußten wir marschiren, nach Ungarn, und im Herbst ging der Krieg mit den Türken los. Ich kann nicht viel davon nachsagen, denn ich wurde gleich in der ersten Affaire gefangen und bin seitdem sechs-und-zwanzig Jahre in der türkischen Sklaverei gewesen!“ – „Gott im Himmel! das ist doch schrecklich!“ sagte Frau von S. – „Schlimm genug; die Türken halten uns Christen nicht besser als Hunde; das Schlimmste war, daß meine Kräfte unter der harten Arbeit vergingen; ich ward auch älter und sollte noch immer thun wie vor Jahren.“

Er schwieg eine Weile. „Ja,“ sagte er dann, „es ging über Menschenkräfte und Menschengeduld; ich hielt es auch nicht aus. – Von da kam ich auf ein holländisches Schiff.“ – „Wie kamst du denn dahin?“ fragte der Gutsherr. – „Sie fischten mich auf, aus dem Bosporus,“ versezte Johannes. Der Baron sah ihn befremdet an und hob den Finger warnend auf; aber Johannes erzählte weiter. Auf dem Schiffe war es ihm nicht viel besser gegangen. „Der Skorbut riß ein; wer nicht ganz elend war, mußte über Macht arbeiten, und das Schiffstau regierte eben so streng wie die türkische Peitsche. Endlich,“ schloß er, „als wir nach Holland kamen, nach Amsterdam, ließ man mich frei, weil ich unbrauchbar war, und der Kaufmann, dem das Schiff gehörte, hatte auch Mitleiden mit mir und wollte mich zu seinem Pförtner machen. Aber –“ er schüttelte den Kopf – „ich bettelte mich lieber durch bis hieher.“ – „Das war dumm genug,“ sagte der Gutsherr. – Johannes seufzte tief: „O Herr, ich habe mein Leben zwischen Türken und Ketzern zubringen müssen, soll ich nicht wenigstens auf einem katholischen Kirchhofe liegen?“ Der Gutsherr hatte seine Börse gezogen: „Da, Johannes, nun geh und komm bald wieder. Du mußt mir das Alles noch ausführlicher erzählen; heute ging es etwas konfus durcheinander. Du bist wohl noch sehr müde?“ – „Sehr müde,“ versezte Johannes; „und,“ er deutete auf seine Stirn, „meine Gedanken sind zuweilen so kurios, ich kann nicht recht sagen, wie es so ist.“ – „Ich weiß schon,“ sagte der Baron, „von alter Zeit her. Jezt geh. Hülsmeyers behalten dich wohl noch die Nacht über, morgen komm wieder.“

Herr von S. hatte das innigste Mitleiden mit dem armen Schelm; bis zum folgenden Tage war überlegt worden, wo man ihn einmiethen könne; essen sollte er täglich im Schlosse, und für Kleidung fand sich auch wohl Rath. „Herr,“ sagte Johannes, „ich kann auch noch wohl etwas thun; ich kann hölzerne Löffel machen, und Ihr könnt mich auch als Boten schicken.“ Herr von S. schüttelte mitleidig den Kopf: „Das würde doch nicht sonderlich ausfallen.“ – „O doch Herr, wenn ich erst im Gange bin – es geht nicht schnell, aber hin komme ich doch, und es wird mir auch nicht so sauer, wie man denken sollte.“ – „Nun,“ sagte der Baron zweifelnd, „willst du’s versuchen? hier ist ein Brief nach P. Es hat keine sonderliche Eile.“

Am folgenden Tage bezog Johannes sein Kämmerchen bei einer Wittwe im Dorfe. Er schnitzelte Löffel, aß auf dem Schlosse und machte Botengänge für den gnädigen Herrn. Im Ganzen ging’s ihm leidlich; die Herrschaft war sehr gütig, und Herr von S. unterhielt sich oft lange mit ihm über die Türkei, den österreichischen Dienst und die See. – „Der Johannes könnte viel erzählen,“ sagte er zu seiner Frau, „wenn er nicht so grundeinfältig wäre.“ – „Mehr tiefsinnig als einfältig,“ versezte sie; „ich fürchte immer, er schnappt noch über.“ – „Ei bewahre!“ antwortete der Baron, „er war sein Lebenlang ein Simpel; simple Leute werden nie verrückt.“

Nach einiger Zeit blieb Johannes auf einem Botengange über Gebühr lange aus. Die gute Frau von S. war sehr besorgt um ihn und wollte schon Leute aussenden, als man ihn die Treppe heraufstelzen hörte. – „Du bist lange ausgeblieben, Johannes,“ sagte sie; „ich dachte schon, du hättest dich im Brederholz verirrt.“ – „Ich bin durch den Föhrengrund gegangen.“ – „Das ist ja ein weiter Umweg; warum gingst du nicht durch’s Brederholz?“ – Er sah trübe zu ihr auf: „Die Leute sagten mir, der Wald sey gefällt, und jezt seyen so viele Kreuz- und Querwege darin, da fürchtete ich, nicht wieder hinauszukommen. Ich werde alt und duselig,“ fügte er langsam hinzu. – „Sahst du wohl,“ sagte Frau von S. nachher zu ihrem Manne, „wie wunderlich und quer er aus den Augen sah? Ich sage dir, Ernst, das nimmt noch ein schlimmes Ende.“

Empfohlene Zitierweise:
Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. In: Morgenblatt für gebildete Leser, Nr. 96-111. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1842, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Morgenblatt_fuer_gebildete_Leser_1842_439.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)