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Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. In: Morgenblatt für gebildete Leser, Nr. 96-111

ich dir versprochen habe. Mein Spielen ist vorbei, ich muß jezt Geld verdienen.“ – Johannes warf noch einmal einen scheuen Blick auf Margreth, streckte dann langsam seine Hand aus, bis er das Dargebotene fest ergriffen hatte, und brachte es wie verstohlen unter die Flügel seines armseligen Jäckchens.

Margreth stand ganz still und ließ die Kinder gewähren. Ihre Gedanken hatten eine andere, sehr ernste Richtung genommen, und sie blickte mit unruhigem Auge von Einem auf den Andern. Der fremde Knabe hatte sich wieder über die Kohlen gebeugt mit einem Ausdruck augenblicklichen Wohlbehagens, der an Albernheit grenzte, während in Friedrichs Zügen der Wechsel eines offenbar mehr selbstischen als gutmüthigen Mitgefühls spielte und sein Auge in fast glasartiger Klarheit zum erstenmale bestimmt den Ausdruck jenes ungebändigten Ehrgeizes und Hanges zum Großthun zeigte, der nachher als so starkes Motiv seiner meisten Handlungen hervortrat. Der Ruf seiner Mutter störte ihn aus Gedanken, die ihm eben so neu als angenehm waren. Sie saß wieder am Spinnrade.

„Friedrich,“ sagte sie zögernd, „sag einmal –“ und schwieg dann. Friedrich sah auf und wandte sich, da er nichts weiter vernahm, wieder zu seinem Schützling. „Nein, höre –“ und dann leiser: „was ist das für ein Junge? wie heißt er?“ – Friedrich antwortete eben so leise: „Das ist des Ohms Simon Schweinehirt, der eine Botschaft an den Hülsmeyer hat. Der Ohm hat mir ein paar Schuhe und eine Weste von Drillich gegeben; die hat mir der Junge unterwegs getragen; dafür hab’ ich ihm meine Violine versprochen; er ist ja doch ein armes Kind; Johannes heißt er.“ – „Nun – ?“ sagte Margreth. – „Was willst du, Mutter?“ – „Wie heißt er weiter?“ – „Ja – weiter nicht – oder, warte – doch: Niemand, Johannes Niemand heißt er. – Er hat keinen Vater,“ fügte er leiser hinzu.

Margreth stand auf und ging in die Kammer. Nach einer Weile kam sie heraus, mit einem harten, finstern Ausdruck in den Mienen. – „So, Friedrich,“ sagte sie, „laß den Jungen gehen, daß er seine Bestellung machen kann. – Junge, was liegst du da in der Asche? hast du zu Hause nichts zu thun?“ – Der Knabe raffte sich mit der Miene eines Verfolgten so eilfertig auf, daß ihm alle Glieder im Wege standen und die Holzschenvioline bei einem Haar in’s Feuer gefallen wäre.

„Warte, Johannes,“ sagte Friedrich stolz, „ich will dir mein halbes Butterbrod geben, es ist mir doch zu groß, die Mutter schneidet allemal über’s ganze Brod.“ – „Laß doch,“ sagte Margreth, „er geht ja nach Hause.“ – „Ja, aber er bekommt nichts mehr; Ohm Simon ißt um sieben Uhr.“ Margreth wandte sich zu dem Knaben: „Hebt man dir nichts auf? Sprich, wer sorgt für dich?“ – „Niemand,“ stotterte das Kind. – „Niemand?“ wiederholte sie; „da nimm, nimm!“ fügte sie heftig hinzu; „du heißt Niemand und Niemand sorgt für dich! Das sey Gott geklagt! Und nun mach dich fort! Friedrich, geh nicht mit ihm, hörst du, geht nicht zusammen durch’s Dorf.“ – „Ich will ja nur Holz holen aus dem Schuppen,“ antwortete Friedrich. – Als beide Knaben fort waren, warf sich Margreth auf einen Stuhl und schlug die Hände mit dem Ausdruck des tiefsten Jammers zusammen. Ihr Gesicht war bleich wie ein Tuch. „Ein falscher Eid, ein falscher Eid!“ stöhnte sie. „Was ist’s? Simon, Simon, wie willst du vor Gott bestehen!“

So saß sie eine Weile, starr’ mit geklemmten Lippen, wie in völliger Geistesabwesenheit. Friedrich stand vor ihr und hatte sie schon zweimal angeredet. „Was ist’s? was willst du?“ rief sie auffahrend. – „Ich bringe Euch Geld,“ sagte er, mehr erstaunt als erschreckt. – „Geld? wo?“ Sie regte sich und die kleine Münze fiel klingend auf den Boden. Friedrich hob sie auf. „Geld vom Ohm Simon, weil ich ihm habe arbeiten helfen. Ich kann mir nun selber was verdienen.“ – „Geld vom Simon? wirf’s fort, fort! – nein, gib’s den Armen. Doch, nein, behalt’s,“ flüsterte sie kaum hörbar; „wir sind selber arm. Wer weiß, ob wir bei dem Betteln vorbeikommen!“ – „Ich soll Montag wieder zum Ohm und ihm bei der Einsaat helfen.“ – „Du wieder zu ihm? nein, nein, nimmermehr!“ – Sie umfaßte ihr Kind mit Heftigkeit. – „Doch,“ fügte sie hinzu, und ein Thränenstrom stürzte ihr plötzlich über die eingefallenen Wangen; „geh, er ist mein einziger Bruder, und die Verläumdung ist groß! Aber halt Gott vor Augen und vergiß das tägliche Gebet nicht!“

Empfohlene Zitierweise:
Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. In: Morgenblatt für gebildete Leser, Nr. 96-111. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1842, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Morgenblatt_fuer_gebildete_Leser_1842_399.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)