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außerpreußischen Kollegen, sondern daran, daß unsere alten ehrenhaften Beamten solchem Betrug steuerten, wo sie es konnten. Sie wußten es wohl, daß die Regierung, die dergleichen duldet, weit schwerere Mitschuld trägt als der einzelne Universitätslehrer, der, wenn er das Sündengeld einsteckt, zwar nicht mit Recht, aber doch mit einem gewissen Schein sich vorredet, daß er ja für die Einrichtung nicht könne. Es gehört nicht zu den erbaulichen Erlebnissen, daß in den bestimmenden Kreisen dieselbe strenge Moral nicht mehr maßgebend gewesen ist, als die jüngste Vergangenheit die Zahl der preußischen Universitäten vermehrte, daß man sich darauf beschränkt hat das Unkraut zu beschneiden statt es auszureuten und daß wir jetzt nicht mehr sagen dürfen, was noch vor wenigen Jahren wahr war, daß es preußische doctores in absentia nicht gibt. Das tiefe Wort, daß die Rechtschaffenheit der Grundstein der Macht ist, hat sich an Preußen bewährt. Aber die Rechtschaffenheit ist eben ein Grundstein, nicht ein Gerüst, das man hinter sich abbricht. Wir vertrauen darauf, daß dieselbe geistige und sittliche Kraft, die unser Haus gebaut hat, es uns auch erhalte; wir brauchen sie für die Erhaltung wenigstens ebensosehr wie für den Bau. Wir vertrauen ferner darauf, daß Preußen nicht bloß sich selber reinige von dem Schmutz, den es also übernommen hat, sondern auch das neue Deutsche Reich denjenigen kleineren Regierungen, die nicht im stande sind sich selber an den Zopf zu fassen, um aus diesem Sumpfe sich herauszuziehen, die nötige freundliche Hülfe erweise. Sollte nicht jetzt auch für diesen Mißbrauch wenigstens die elfte Stunde geschlagen haben? es nicht jetzt an der Zeit sein die Falschmünzerei akademischer Grade den Spielhöllen nachzusenden? So wie es ist, kann es nicht bleiben. Ungern werden die akademischen Lehrer auf das Recht verzichten tüchtigen Schülern öffentlich und feierlich den Meisterspruch zu erteilen. Die Laufbahn manches ausgezeichneten Mannes hat damit begonnen, daß sein Examen pro gradu die Aufmerksamkeit einer Anzahl namhafter Männer auf ihn lenkte; und während bei den Staatsprüfungen notwendiger Weise vielfach Rücksichten andrer

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Theodor Mommsen: Reden und Aufsätze. Weidmann, Berlin 1905, Seite 408. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Mommsen_Reden_und_Aufs%C3%A4tze_1905.pdf/423&oldid=- (Version vom 1.8.2018)