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höchstgestellten Lehrer der deutschen Jugend, die Vertreter unserer Universitäten, auf die Deutschland – darf man sagen stolz sein kann?

Die Entschuldigung, daß der größere Teil dieser Pseudodiplome nach England und Amerika geht, ist nichts als eine neue Anklage. Wenn das echte Gold deutscher Wissenschaft dazu dient falsche Goldstücke mit deutschem Stempel in das Ausland zu vertreiben, so bleibt dem ehrenhaften deutschen Gelehrten nur der Wunsch, daß seine Kinder ein ehrlicheres Handwerk ergreifen mögen. Das Geschäft wird ja darum nicht untergehen. In Amerika bestehen einheimische Doktorenfabriken in so ausreichender Zahl, daß sie den inländischen Konsum völlig zu befriedigen im stande sind. Wenn der deutsche Doktor dort ungefähr so in Kurs steht wie die amerikanische Nähmaschine in Deutschland, so ist der deutsche Gelehrtenstand gewiß sehr dankbar für die Ehre, die ihm hiermit erwiesen wird und die die weitaus größte Zahl der deutschen Universitäten durch redliches Verwalten ihres Amtes behaupten darf verdient zu haben. Aber diese rechtschaffene Tätigkeit soll nicht länger das Wirtschaftskapital für ein Fälschungsgeschäft liefern.

Schreiende Mißstände in unserem deutschen Vaterlande haben wir lange Zeit nicht geduldig, aber schweigend ertragen; die Hoffnungslosigkeit macht nicht beredt und der deutsche Bundestag hatte allerdings Ursache weder an das große noch an das kleine Unkraut zu rühren. Aber heute haben wir ein gutes Recht auch für diese Schandwirtschaft Abhülfe zu fordern, oder vielmehr wir haben die Pflicht dies zu tun. Ist diese Unsitte doch auch, wie so vieles andere, was die deutsche Ehre beschmutzt, eine Folge der Kleinstaaterei, und hat auch hier, wie in so vielen anderen Dingen, der preußische Staat sich dadurch zu seiner heutigen Stellung legitimiert, daß er in seinem Bereich dieses Unwesen nicht geduldet hat. Wenn unter den altpreußischen Universitäten keine sich an dieser gelehrten Falsifikation beteiligt, so liegt dies nicht daran, daß die preußischen Gelehrten besser sind als ihre

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Theodor Mommsen: Reden und Aufsätze. Weidmann, Berlin 1905, Seite 407. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Mommsen_Reden_und_Aufs%C3%A4tze_1905.pdf/422&oldid=- (Version vom 1.8.2018)