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Theodor Mommsen: Reden und Aufsätze

menschlichen Irren und Fehlen ein weiter Spielraum bleibt, aber solche arge Unredlichkeit und entehrende Schändlichkeit sich von selber ausschließt. Auch unter den denkbar nachteiligsten Voraussetzungen wird doch die Fakultät, der der Kandidat gegenübertritt, nicht umhin können gänzlich ungeeignete Persönlichkeiten zurückzuweisen. Andererseits aber und vor allem wird, wer also seiner eigenen Unfähigkeit sich bewußt ist, es gar nicht wagen sich solcher Frage zu stellen und ein Falsum persönlich zu vertreten. Jeder erfahrene akademische Lehrer wird es bestätigen, daß bei persönlicher Stellung zum Examen der eigentlich infame Mißbrauch der akademischen Graduierung nicht eintritt. Wo diese aber nicht gefordert wird, sind allerdings begreiflicherweise Fälle selten, wie der hier zur Sprache gebrachte und der vor einigen Jahren bei einer anderen nach demselben System promovierenden Fakultät vorgekommene, daß die von zwei Bewerbern mit der Versicherung sie selbständig verfaßt zu haben eingereichten Abhandlungen wörtlich gleich lauteten. Aber es ist notorisch, daß in zahlreichen Fällen der gleiche Betrug ungestraft geübt wird. Es bestehen gewerbmäßige Anstalten, welche dergleichen Abhandlungen den Benötigten beschaffen; wie denn in dem zuletzt genannten Fall das Mißgeschick dadurch herbeigeführt wurde, daß die beiden Doktoranden sich an dasselbe Geschäft gewandt und verschiedene Universitäten namhaft gemacht, dann aber der eine von ihnen ohne Wissen des Lieferanten der Abhandlung die Universität gewechselt hatte. Man wird ferner einräumen müssen, daß bei aller Verachtung, die solche Erschleichung verdient, doch die Anstalten, die also promovieren, an derselben mitschuldig, ja in gewissem Sinne mehr schuldig sind als die einzelnen Pseudodoktoren. Man erwäge doch, wie nahe jene Einrichtung denselben die Versuchung legt, wie leicht sich der einzelne, zumal der wenig Gebildete und der Ausländer, überredet mit einer solchen falschen Versicherung eine am Ende gleichgültige und keinem schädliche Handlung zu begehen. Ist der Spielhalter schlimmer oder der Spieler? der Verführer oder der Verführte? und diese Verführer sind die

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Theodor Mommsen: Reden und Aufsätze. Weidmann, Berlin 1905, Seite 406. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Mommsen_Reden_und_Aufs%C3%A4tze_1905.pdf/421&oldid=- (Version vom 1.8.2018)