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desselben als nicht erteilt zu betrachten, scheint ebenso selbstverständlich.

Aber an dem speciellen Fall ist am Ende wenig gelegen. Freilich wird derjenige Doktor, der diesen seinen doch nicht so gar bescheidenen Titel wenn nicht mit Recht, so doch von Rechts wegen führt, wenn er solche Kollegen neben sich findet, die Frage nicht unterdrücken können, ob er nicht dieses gelehrten Anhängsels entledigt sich als einfacher „Herr“ dem Gentleman näher fühlen würde. Indes dergleichen Überlegungen gehören eher vor das forum conscientiae als vor das der Preußischen Jahrbücher. Sollte aber in diesem einzelnen Vorgang nicht zugleich ein allgemeiner Mißstand in besonders schroffer und schlagender Weise zu Tage kommen und nicht insofern derselbe einer ernstlichen Erwägung auch in weiteren Kreisen wert sein?

Die konferierende Behörde trifft bei diesem Vorgang ein individueller Vorwurf nicht. Trotz der argen Fehler, die die Unwissenheit des Plagiators hineingetragen hat und von denen die früher erwähnten Recensionen reichliche Proben geben, war von Jaffés Arbeit doch manches Brauchbare übrig geblieben; und daß dieselbe nicht dem lebenden Schüler, sondern dem verstorbenen Lehrer gehörte, konnte der Fakultät natürlich nur durch zufällige Kombination bekannt sein, welche nicht eingetreten ist. Gegen den einzelnen Promotionsakt also soll kein Tadel gerichtet werden; um so härter aber trifft und um so schwerer verurteilt er dasjenige System, aus dem solche Vorgänge hervorgehen und hervorgehen müssen. Ich meine die sogenannte Promotion in absentia, die Erteilung des Doktorgrades an jeden, der eine von dem Einsender für die seinige erklärte und sachlich genügende wissenschaftliche Arbeit der Fakultät überschickt und die Gebühren bezahlt. Denn daran wird kein der Verhältnisse Kundiger zweifeln, daß, wo nach der alten besseren Ordnung verfahren und persönliches Erscheinen des Bewerbers vor der Fakultät und mündliche Prüfung verlangt wird, gewiß auch manche Persönlichkeit zugelassen wird, die besser zurückgewiesen worden wäre, und dem

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Theodor Mommsen: Reden und Aufsätze. Weidmann, Berlin 1905, Seite 405. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Mommsen_Reden_und_Aufs%C3%A4tze_1905.pdf/420&oldid=- (Version vom 1.8.2018)