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Eduard Mörike: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen

Wer ginge nun gleich zu dem Hauptmann der Wache, daß er den Fürsten bitte, mir so viel zu gestatten?

Und eine der Frauen lief alsbald. Der Hauptmann aber wollte nicht. Naïra sagte: so gehe du selbst an den Quell, es wird dir Niemand wehren, und tauche dieses Tuch hinein und bring es mir.

Doch keine traute sich, ihr diesen Liebesdienst zu thun. Naïra rief und sah auf ihre Hand: O wenn Jezerte’s Gottheit wollte, ein kleiner Vogel machte sich auf und striche seinen Flügel durch das Wasser und käme an’s Fenster, daß ich ihn berühre! – Dieß aber mochte nicht geschehn; und kamen jetzt die Leute, Naïra abzuholen. Sie fuhr auf einem schlechten Boot, mit zween Schergen und acht Ruderknechten, schnell dahin; saß auf der mittlern Bank allein, gefesselt; zu ihren Füßen etwas Vorrath an Speisen und Getränk, nicht genug für fünf Tage. Und saß da still, in dichte Schleier eingewickelt, daß die Blicke der Männer sie nicht beleidigten, auch daß sie selbst nicht sehen mußte; und war, als schiffte sie schon jetzo unter den Schatten.

Bei jenem Eiland als sie angekommen waren, lösten die Begleiter ihre Bande und halfen ihr aussteigen; setzten drei Krüge und einen Korb mit Brod und Früchten auf den Stein und stießen wieder ab ungesäumt.

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Eduard Mörike: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen. G. J. Göschen, Stuttgart 1878, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Moerike_Schriften_2_(1878)_277.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)