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Eduard Mörike: Das Stuttgarter Hutzelmännlein. Aus: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen

ein Graus für alle Gefreundte, Vettern und Basen, Gespielen, Bekannte, so Buben als Mädchen – die Vrone ist’s! Die Vrone Kiderlen, einer Wittwe Tochter von hier! – so ging’s von Mund zu Mund. Ist es denn eine Menschenmöglichkeit? rief eine Bürstenbindersfrau: das Vronele, meiner nächsten Nachbarin Kind? Je! Gott sei Dank, bärig161 vor einer halben Stund’ ist ihre Mutter heim – es ward ihr übel schon über den vorigen Künsten – und jetzt das eigne Kind – der Schlag hätt’ sie gerührt, wenn sie das hätte sehen sollen! – Schon erhoben sich wiederum Stimmen im Kreis, und noch lauter als vorhin bei’m Seppe, mit Drohen, Bitten und Flehn an die Dirne, nicht weiter zu gehen. Sie aber, ganz verwirrt, flammroth vor Scham, nicht wissend selbst wie ihr geschehn, wie sie’s vermocht, stand da wie am Pranger, die Augen schwammen ihr und ihre Kniee zitterten. Ein Mann lief fort, eine Leiter zu holen.

Derweil war aber schon der flinke Bergmann an der andern Seite zum Seppe auf das Seil gekommen und hatte ihm Etwas in’s Ohr geraunt, worauf der ungesäumt den linken Schuh abzog und seiner Partnerin muthig die Worte zurief: komm, Vrone, es hat keine Noth! trau’ auf mein Wort, faß’ dir ein Herz und thu’ mit deinem rechten Schuh, wie du mich eben

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Mörike: Das Stuttgarter Hutzelmännlein. Aus: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen. Stuttgart: G. J. Göschen. 1878, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Moerike_Schriften_2_(1878)_243.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)