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hinausreichte. Ahnung durchzuckte mich, freudig und schauderhaft zugleich; ich glaubte Frau Lichtlein reden zu hören. Der Mann entfernte sich geschwind mit seinem Pack. Gleich darauf hörte ich hämmern und klopfen, ohne Zweifel wurde der Sarg zugeschlagen. Die Mutter kam herein, nahm Geld aus dem Schranke und gab es dem Weib vor der Thüre. Ich weiß nicht, was mich abgehalten haben mag, etwas von dem zu sagen was eben vorgegangen war, im Stillen aber hegte ich die wunderbarste Hoffnung; ja als der Leichenzug anging und Alles so betrübt aussah, da lachte ich heimlich bei mir, denn ich war ganz gewiß, daß Aennchen nicht im Sarge sei, daß ich sie vielmehr bald lebendig wieder sehen würde.

In der folgenden Nacht erkrankte ich heftig, redete irre und seltsame Bilder umgaukelten mich. Bald zeigte mir die Leichenfrau den leeren Sarg, bald sah ich, wie sie sehr geschäftig war, den rothen Rock der bösen Fee, sammt ihren Schuhen, in den Sarg zu legen, bevor man ihn verschloß. Dann war ich auf dem Kirchhof ganz allein. Ein schönes Bäumchen wuchs aus einem Grab hervor und ward zusehends immer größer, es fing hochroth zu blühen an und trieb die prächtigsten Aepfel. Frau Lichtlein trat heran: „Merkst du?“ sprach sie: „das macht der rothe Rock, der fault im Boden. Muß gleich dem Todtengräber

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Eduard Mörike: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen. G. J. Göschen, Stuttgart 1878, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Moerike_Schriften_2_(1878)_074.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)