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Eduard Mörike: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen

Sie ging mit ihm denselben Tag, weil eben Ostern war, zu Gottes Tische. Da mag sie wohl ihr eigen Gift hinabgegessen haben anstatt den süßen Leib des Herrn. Von Stund an war sie wie verstockt. Es sah just aus, als hätte sie zu reden und zu lachen und zu weinen für immerdar verlernt. Wenn er so vor ihr stand und ihr zusprach mit guten klugen Worten, so sah sie unter sich wie ein demüthig Muttergottesbild und wich mit falschem Seufzen auf die Seite; war der Gemahl hingegen auf der Jagd oder sonst ausgeritten, damit er einen Tag seinen Kummer vergesse, da sei der kalte Fisch daheim lauter Leben, lauter Scherz und lustige Bosheit gewesen. Wer sollte glauben, daß der Graf für eine solche Creatur auch nur ein Fünklein Liebe haben können? Und doch, es heißt, er hing an ihren Augen trotz einem Bräutigam. Einige meinten drum, sie hab’ es ihm im rothen Wein gegeben.

Einst saß er allein auf dem Saal und hatte seinen Knaben, nicht gar ein jährig Kind, sein liebstes Gut, auf seinem Schoos, und war sehr traurig, denn der Knabe war seit kurzer Zeit siech und elend worden und aß und trank nicht mehr, und wußte Niemand was ihm fehle. Tritt leise die Amme herein, ein braves Weib, und fängt zu weinen an: Ach lieber Herr, ich habe Etwas auf dem Herzen, das

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Eduard Mörike: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen. G. J. Göschen, Stuttgart 1878, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Moerike_Schriften_2_(1878)_034.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)