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Eduard Mörike: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen

Wir setzten uns zum Essen. Josephe that Alles, um mich zu zerstreuen. Sie war die lautere Unbefangenheit, Anmuth und Herzensgüte. Zum erstenmal, ich darf beinah so sagen, zum erstenmal in meinem Leben begriff ich, wie es möglich sei, sich in ein Weibsbild zu verlieben.

„Man sagt so viel von Eurem grauen Schlößchen,“ hub ich an, nachdem sie das Essen abgetragen und die herrlichsten Aepfel zum Nachtisch aufgestellt hatte, „wie wär’s, Ihr schenktet mir, weil wir gerade so beisammen sind, einmal recht reinen Wein darüber ein?“

„Das kann geschehen,“ antwortete sie; „wir reden sonst nicht leicht mit Jemanden davon, allein man macht wohl eine Ausnahme. Zudem seid Ihr ein verständiger Mann und werdet Euch bei uns nicht fürchten. (Hier sah sie mir sehr scharf, wie prüfend, ins Gesicht.) Auch ist noch keiner Seele seit Menschengedenken im Hause selbst das Mindeste zu Leid geschehn, und außerhalb, nun ja, man hütet sich. Es gab wohl schon so leichtsinnige Menschen, die mögen immer ihren Fürwitz büßen.“

Sie hatte sich gesetzt und eine kaum erst angefangene Strickerei mit grün und schwarzem Garn zur Hand genommen, der Knaul lag ihr im Schoose. „Ach mein! so seht doch, was das regnet! was das

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Eduard Mörike: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen. G. J. Göschen, Stuttgart 1878, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Moerike_Schriften_2_(1878)_030.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)