Seite:Moerike Schriften 2 (1878) 021.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Eduard Mörike: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen

folgte seiner Weisung nach dem Walde. Im Gehen macht’ ich mir verschiedene Gedanken, und schaute wohl noch zehnmal um nach dem verwünschten Pfahl. Er hatte seine Allagsstellung wieder angenommen und sah wahrhaftig aus, als könnte er nicht Fünfe zählen. Was wollte er doch mit dem grauen Schlößchen? Ich hatte früher Mancherlei davon erzählen hören. Es gehörte den Freiherrn von Rochen, und war, so viel ich wußte, noch unlängst bewohnt; es stand im Rufe arger Spuckereien, doch nicht sowohl das Schlößchen selbst, als vielmehr seine nächste Umgebung. Die Sichel fließt unten vorbei, darin schon[WS 1] Mancher, durch ein weibliches Gespenst irre geführt, den Tod gefunden haben soll. Nun glaubte ich nicht anders, als der Versucher habe mich in Wegweisersgestalt nach dieser Teufelsgegend locken wollen. Jedoch, erhob sich bald ein anderes Stimmchen in mir, wenn du ihm Unrecht thätest? wenn du gerade jetzt deinen Dukaten entliefst? Was also thun? kehr’ ich um? geh’ ich weiter? So stritt es hin und her in meiner Seele. Ermüdet und verdrossen setzt’ ich mich am Waldsaum oben nieder, wo ich denn immer tiefer in mich selbst versank, ohne zu merken, wie die Dämmerung einbrach und daß der Schäfer lange heimgetrieben. Rasch und entschlossen stand ich auf. Gut’ Nacht, Wegweiser! – Ich stieg bergab, dem Weiler zu.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: chon
Empfohlene Zitierweise:
Eduard Mörike: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen. G. J. Göschen, Stuttgart 1878, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Moerike_Schriften_2_(1878)_021.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)