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Anton Oskar Klaußmann: Modespionage. In: Das Buch für Alle, 45. Jahrgang, Heft 5, S. 117–118

ein Zufall oder sie würde von einzelnen berühmten Persönlichkeiten, zum Beispiel von Künstlerinnen oder von ersten Damen der Gesellschaft gemacht.

Das war vielleicht früher einmal der Fall. Heutzutage wird die Mode systematisch „kreiert“ durch die Chefs der berühmten Konfektionsfirmen in Paris und London und durch deren Generalstab von Künstlern und Künstlerinnen. Mit einem Aufwande von monatelangen Mühen, von riesigen Kosten werden Hunderte von verschiedenen Skizzen entworfen, geprüft, verworfen, kombiniert, umgearbeitet, bis endlich eine Anzahl Skizzen angenommen ist, welche nach dem feinen Gefühl des Chefs des betreffenden Hauses und seiner technischen und kaufmännischen ersten Gehilfen beiderlei Geschlechtes wohl geeignet sind, einen Erfolg zu erzielen. Dann werden diese Skizzen in natürlicher Größe farbig ausgeführt und danach mit äußerster Vorsicht, damit ja nichts von dem Geheimnis in die Öffentlichkeit dringt, angefertigt.

Man verwendet in den Ateliers der Firma, welche diese Modellroben oder -hüte herstellt, nur ausgesuchte, durchaus sichere Leute, die man lange Jahre kennt, denn auch unter das Ladenpersonal, ja unter das Hauspersonal, welches die Reinigung in den Geschäfts- und Kontorräumen, sowie in den Werkstätten besorgt, suchen sich sehr oft Spioninnen einzuschleichen.

Man fertigt nun ein bis zwei Dutzend allerneuester Modelle an, welche in bezug auf Form und Schnitt des Kleides, Farbe und Farbenzusammenstellung, Besatz, Knöpfe, durch die Eigenart der verwendeten Stoffe usw. wirklich als neue Modelle betrachtet werden können. Jedes dieser Modelle stellt sich für den Inhaber des Geschäftes nach Berechnung aller Kosten auf 20 000 Frank und darüber. Diese Modelle sind aber sofort wertlos und der Geschäftsinhaber steht ohne Neuheiten da, wenn es kleineren Firmen gelingt, sich von den Modellen eine Kopie zu beschaffen.

Namentlich vor den billigen Warenhäusern haben die großen Firmen in Paris und Loudon außerordentliche Angst, und am meisten fürchten sie die Amerikaner und die Deutschen. Wird durch Spionage ein solches Modell einem großen Hause in Amerika oder Deutschland übermittelt, das billige Waren herstellt und das die neue Form, Farbenzusammenstellung oder Ausstattung der Robe oder des Hutes mit einigen Änderungen in billigem Material kopiert und in Tausenden und aber Tausenden von Exemplaren auf den Markt bringt, so ist natürlich das Originalmodell vollkommen entwertet. Die reichen Amerikanerinnen zum Beispiel, die Einkäufe von Hunderttausenden machen, suchen sehr sorgfältig, ehe sie in Paris einkaufen, auch die Konfektionsgeschäfte in Berlin, in London und Brüssel ab, und haben sie dort irgend etwas gefunden, das an die Originalmodelle erinnert, die sie in Paris finden, so kaufen sie die letzteren natürlich nicht mehr.

Aber auch der kleine Damenschneider oder die Schneiderin, welche für eine weniger vermögende Kundschaft arbeitet, will sich diese Kundschaft erhalten und neue gewinnen, indem sie nach der allerneuesten Mode arbeitet, nach einer Mode, die noch neuer ist als die, welche die Frauenzeitungen bringen; die Putzmacherin der Kleinstadt will ihre Kundschaft mit neuen Kopfbedeckungen beglücken, für die sie nicht die teuren Modellkosten in Paris oder der nächsten Großstadt bezahlen möchte. Deshalb eben sucht sie sich heimlich neue Ideen und Modelle zu beschaffen, indem sie die Schaufenster der nächsten Großstadt studiert und sich Skizzen macht.

Die Vertreter der großen Konfektionsgeschäfte in allen Städten des Deutschen Reiches, Österreich-Ungarns, Italiens, Englands fahren gewöhnlich zweimal jährlich nach Paris, um dort in den großen Konfektionsgeschäften Modelle zu erwerben, nach denen sie dann ihre Produkte anfertigen lassen. Diese Modellkleider und -hüte werden mit Tausenden von Franken bezahlt, und da im Anfang Juni immer schon die nächste Wintermode fertig ist und ebenso im November oder Dezember die Mode für den nächsten Sommer bereits bestimmt ist, haben die Inhaber der großen Konfektionsgeschäfte, welche auf reellem Wege die Modelle erwerben, natürlich Zeit genug, um die Ideen der Modelle noch durchzuarbeiten, dem Sondergeschmack des betreffenden Landes anzupassen und dann in einer genügend großen Zahl kopieren zu lassen, um an die kleineren Geschäfte der Provinz die Produkte dutzendweise zu verkaufen.

Aber selbst diesen ehrlichen Käufern gegenüber haben die großen Pariser Geschäfte vor kurzem eine Vereinigung gebildet, welche grundsätzlich die neuen Wintermodelle nicht vor dem 15. August zeigt. Die Ablieferung angekaufter Modelle für das Ausland erfolgt nach Amerika nicht vor dem 7. September, für Europa nicht vor dem 15. September.

Männer sind gewöhnlich nicht geneigt, die Wunderwerke der Schneider- und Putzmacherkunst mit besonderer Achtung zu betrachten. Vielleicht haben diese Kunstwerke für sie jetzt mehr Interesse, wenn sie erfahren, daß um ihretwillen ein so umfangreicher Krieg der List und des Geschäftsinteresses geführt wird.

Empfohlene Zitierweise:
Anton Oskar Klaußmann: Modespionage. In: Das Buch für Alle, 45. Jahrgang, Heft 5, S. 117–118. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1910, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Modespionage.pdf/3&oldid=- (Version vom 1.8.2018)