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vorschwebte, was wir heute als ganz neu ansehen, weil es heute erst unter der Herrschaft der Theorie zur Wirklichkeit werden konnte, nachdem vergebens die Praktiker jahrhundertelang sich der alten Traditionen angenommen und sie von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzt hatten.

Unser Hausbuch, auf welches wir wieder zurückkommen müssen, gehört schon dem Ende des 15. Jahrhunderts an. So ist es denn ganz natürlich, daß eine Reihe mehr oder minder phantastischer Apparate, welche Kieser gibt, in unserm Hausbuche nicht mehr vorkommen. Das Badhaus, welches bei Kieser noch als Dampfbad oder Schwitzbad gegeben ist, wie solche nur im Orient gebräuchlich waren, hat in unserm Hausbuche nur noch eben den allgemeinen Charakter der Badstuben jener Zeit; die Tauchapparate Kieser’s, die Schuhe, welche es ermöglichen sollten, übers Wasser zu gehen, sind sicher als bedeutungslos in unserm Hausbuche absichtlich weggelassen. Anderes, wie die Schiff- und Faßbrücken, war vielleicht bestimmt, die leeren Blätter unseres Hausbuches auszufüllen. Möglich ist es auch, daß das Hausbuch ursprünglich noch mehr Blätter enthielt, die jetzt verschwunden sind; denn ob der jetzige Einband der ursprüngliche ist, kann der Verfasser ohne eigene Einsicht des Codex nicht feststellen.

Ueber den Umfang des Wissens, welchen man von diesen Technikern verlangte, gibt eine Anzahl von Verträgen mit solchen Kunde, die als Büchsenmacher in die Dienste eines Fürsten oder einer Stadt getreten sind, welche uns in Original erhalten geblieben sind. Sie entsprechen so ziemlich allem, was man heute von der Gesammtheit der Techniker verlangt, nur daß sich eben mit der weitern Ausbildung heute das gesammte technische Fach zu einer Anzahl von Specialfächern ausgebildet hat, und daß die heutige Technik manches leisten kann, von welchem man damals etwa nur eine Ahnung hatte. Zur Beurtheilung der Frage, wie weit das, was man damals wirklich leisten konnte, auch rationell nach unsern theoretischen Begriffen war, fehlen uns die Anhaltspunkte, weil die Zeichnungen doch zur Beurtheilung nicht ausreichen.

Für die Betrachtung der gesellschaftlichen Stellung dieser Techniker haben wir manche interessante Anhaltspunkte. Zunächst zeigen die erwähnten Verträge, daß die Leute in ähnlichem Ansehen standen und in ähnlichen Lebensverhältnissen, wie etwa Aerzte, Musiker, Dichter, Schriftsteller und ähnliche in frühern Jahrhunderten ausschließlich dem geistlichen Stande angehörige Elemente. Die Verträge und Dienstverpflichtungsformeln lauten ganz ähnlich wie jene, welche mit Männern der erwähnten Kategorie abgeschlossen waren. Dabei muß freilich bemerkt werden, daß alle jene, welche von Fürsten oder Städten berufen wurden, wahrscheinlich die hervorragendsten unter ihren Genossen waren, und daß wol insbesondere gerade die steigende Bedeutung der Artillerie diejenigen, welche sich darin auszeichneten, hob. Die Stellung der Artillerie, gegenüber dem übrigen Heere, war eine eigenthümliche. Noch weit ins 16. Jahrhundert herein zählten die Büchsenmeister und ihre Gehülfen nicht zu den Kriegern, hatten dagegen weitgehende Privilegien vor diesen voraus. Auf Bildern des 15. Jahrhunderts erscheinen sie zwar da und dort gerüstet, meist aber in Civiltracht, und zwar in jener der höhern Stände. Aus manchen der Schriften dieser Leute geht hervor, daß sie ihre Künste als geheime, und zwar als Gewinn bringende geheime Künste ansahen, wenn sie auch einmal aus Erfordern eines hohen Herrn in Erwartung eines hohen Lohnes ganz oder theilweise in einem Bande solche niederlegten, gerade wie auch die Dichter in Erwartung eines ansehnlichen Honorars ihre Werke hohen Herren widmeten.

Aus einzelnen Schriften, die mit Einleitungen versehen sind, geht hervor, daß die Leute ihre

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August Essenwein: Vorwort zu Mittelalterliches Hausbuch. Bilderhandschrift des 15. Jahrhunderts. Frankfurt am Main 1887, Seite XI. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Mittelalterliches_Hausbuch_1887_0011.jpg&oldid=- (Version vom 9.12.2016)