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[VII]

etwa der Illumiuator ein ganz anderer war als der Zeichner, muß sich ja der Charakter ändern, und es mag darin der geringere Kunstwerth der Miniaturen gegenüber den Zeichnungen begründet sein. Vielleicht genügte der Miniator dem Besteller des Manuscriptes nicht, sodaß dieser von weiterer Colorirung abstand. Eher möchte anzunehmen sein, daß die rein technischen Zeichnungen von anderer Hand sind. Indessen braucht es doch nicht zu überraschen, daß ein tüchtiger Figurenzeichner mit Lineal, Winkelmaß und Reißfeder weniger geschickt umgehen kann, und daß somit gerade die technischen Zeichnungen weniger frei in ihrer Erscheinung sind. Haben wir übrigens gerade einen Maler als den Zeichner des Buches anzunehmen? Damals wußte mancher zu zeichnen, nicht blos die Mitglieder der ehrsamen Malerzunft. Die Kupferstecher waren ja identisch mit den Goldschmieden, und diese zünftigen Meister verstanden es doch auch, zu zeichnen und zu modelliren! Gewiß verstanden es auch die Schreiner, zu zeichnen, nicht zu reden von den Steinmetzen. Weshalb sollten nicht auch diejenigen gut gezeichnet haben, welche damals jene Bedeutung hatten, die heute den wissenschaftlichen Technikern zukommt? Müßten aber alsdann nicht gerade die linearen Zeichnungen die bessern sein? Wenn wir die linearen Zeichnungen ansehen, welche vom 13. bis ins 17. Jahrhundert erhalten sind, insbesondere die Baurisse, so zeigt sich selbst in den besten eine gewisse Unbeholfenheit, die eigenthümlich absticht von der flotten, ansprechenden Linienführung tüchtiger moderner Architekten. Der Grund mag vorzugsweise darin liegen, daß theilweise die mangelhafte Anwendung der Projectionslehre allen diesen Zeichnungen etwas Unvollkommenes gab, das zu einer künstlerischen Linienführung nicht reizte, und deshalb die Ausbildung in diesem Sinne unterblieb. Dann aber fehlte es auch an den nöthigen Instrumenten, und die Fälle sind nicht selten, daß die mit der Feder aus der Hand gezeichneten Ornamente und Figuren in solchen Rissen entschieden besser sind, als die linearen Reißfederzeichnungen. Es ist dies indessen eine Betrachtung, der wir zunächst nicht zu große Bedeutung beilegen wollen; und wenn uns jemand den wirklichen Meister dieser Blätter nachweisen kann, wollen wir dankbar die Belehrung hinnehmen, handle es sich nun um einen Maler oder einen Kupferstecher, d. h. einen Goldschmied, oder einen „Abenteurer."

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Die Handschrift besteht aus 63 Pergamentblättern in Kleinfolio oder 126 Seiten, worunter 3 Doppelblätter. 59 Seiten haben Bilder, 41 Text, die übrigen sind leer geblieben. Das Ganze ist in einen Umschlag von kastanienbraunem Leder geheftet. Auf einem Papierstreifen des Rückens, sowie wiederholt auf der innern Pergamentdecke kommt die Bezeichnung vor. Der Wolfegg’sche Bibliothekstempel befindet sich auf Blatt 4. Wann das Buch in Wolfegg’schen Besitz gekommen und woher, welche Schicksale es früher gehabt, für wen es gefertigt wurde, ist dem Unterzeichneten so wenig bekannt, als wer es verfaßt, geschrieben und illustrirt hat. Wiederholt kommt ein Wappen im Buch vor, welches als das der Familie Goldast in Konstanz erkannt ist. Es dürfte also wol anzunehmen sein, daß das Buch für einen Goldast gefertigt und in Konstanz entstanden ist. Aus Konstanz stammen ja auch mehrere andere wohlbekannte Bilderhandschriften, so die Reichenthal’sche über das Conzil und das Grünenberg’sche Wappenbuch, welche ja auch unserem Hausbuche zeitlich nahestehen, wenn sie auch an künstlerischer Bedeutuug dasselbe nicht erreichen.

Der Name „Mittelalterliches Hausbuch“ ist nicht etwa aus irgendeiner in demselben

Empfohlene Zitierweise:
August Essenwein: Vorwort zu Mittelalterliches Hausbuch. Bilderhandschrift des 15. Jahrhunderts. Frankfurt am Main 1887, Seite VII. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Mittelalterliches_Hausbuch_1887_0007.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2022)