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Feind schließlich in einem gewaltigen Bajonettsturm uberrannten.

Der ausgehende Morgen bot ein Bild des Todes und des Entsetzens. Vor manchen Werken türmten sich die Leichen der Stürmenden meterhoch.

Wie furchtbar ist dieses Ringen. Dieses Blutopfer von Hekatomben.

Eine einzige warme, rote Welle umbrandet die Festung — Blut — Blut.

Und doch, Herr, sieh auf unsere Hände, sie sind rein.

Nicht unser die Schuld —!


Przemysl, den 10. Oktober 1914,
     am 23. Tag der Einschließung.

Der heutige Morgen begann wieder grau, regnerisch und kalt. Nach mehreren Sturzregen wurde es endlich etwas lichter. Emil hat nicht hereingeschickt. Ich hatte auch nicht sicher darauf gerechnet, denn ich hoffe bestimmt, daß er morgen selbst kommt.

Gegen Mittag ging ich auf den Schloßberg, meine kleine, lichte Kastanie besuchen. Ich habe mir ein paar goldige Blätter mit heimgebracht, und sie machen das ganze Zimmer hell. Eine Bekannte, die sich sehr lieb und warm unserer annimmt, brachte mir einige Bände Tolstoi. Nachmittags ging ich dann ein großes Stück den San hinab, und da begann es richtig blau zu werden. Es war wie eine Erlösung nach diesen düsteren Tagen.

Gestern und heute schweigen die Geschütze. Nur hie und da ruft ein einzelnes letztes Fort mit dumpfer Stimme herüber. Es liegt ein unendliches Aufatmen über der Stadt. Soldaten und Offiziere kommen in

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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/57&oldid=- (Version vom 1.8.2018)