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herunter — und möchte aufschreien vor Herzweh!

Gott, Gott, schütze mir Emil – halte die Hände über ihn!


Przemysl, den 5. Oktober 1914,
     am 18. Tag der Absperrung.

Das sind schwere Tage. Heute bin ich den vierten Tag ohne Nachricht von Emil, trotzdem er mir bestimmt versprach, ein Lebenszeichen zu geben. Ich kann es mir nicht anders erklären, als daß sehr viele Kranke gekommen sind und er mich nicht der Ansteckungsgefahr durch sein Kommen oder Schreiben aussetzen will. Heute wollte ich schon ins Garnisonsspital schicken und anfragen, ob sie regelmäßig Nachricht von den Cholerabaracken haben. Dann habe ich aber doch noch zugewartet. Denn ich fühlte, daß ich ganz im Innersten, im Reiche des Instinktes, ruhig war.

Dazu kam noch heute ein schauderhaftes Wetter. Es schüttete, als ob es die Baracken da draußen wegschwemmen müßte. Nachmittags begann auch wieder das Geschützfeuer, rings im Kreis um die ganze Stadt. Vormittags hatte es geschwiegen.

Nachdem ich im Spital war, ging ich auf den Schloßberg. Ein schaurig schöner Sonnenuntergang. Die Wetterwolken, die den ganzen Tag über der Stadt gebraut hatten, ballten sich im Westen zusammen. Es blutete über den ganzen Himmel, und die Sonne schoß noch ein paar letzte feurige Pfeile durch die lastenden und sich übereinandertürmenden Wolkenballen. Im Nordosten stand eine dunkle Wand. Und wenn die ehernen Schlünde dort drüben zu reden begannen, dann stieg ein kleiner, weißer Rauchball in diese dunkle Wand, sich scharf abzeichnend vom Hintergrund. Ein jäher Blitz zerriß diesen Rauchball, ein kleines weißes

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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/48&oldid=- (Version vom 1.8.2018)