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„Aber wahrscheinlich nur für zehn Tage, Kind — hörst du, nur für zehn Tage! Ich trete schon morgen meinen Dienst draußen an.“

Es war eine düstere Nacht. Wir taten beide, als ob wir schliefen. Der Sturm rüttelte am Haus, daß Türen und Fenster zitterten, und der strömende Regen klatschte auf die Dächer. Dazwischen hinein dröhnten unablässig die schweren Salven von draußen — und ihre Stimme war näher, gewaltiger, drohender denn je zuvor.

Das alles war in meinem unruhigen Halbschlaf. Das Dröhnen der schweren Geschütze — die Absperrung, durch die kein Laut von außen hereindringt — das Toben von Sturm und Regen — und Emil — Emil in den Cholerabaracken — es lastete schwerer und schwerer.


Przemysl, den 30. September 1914,
     am 13. Tag der Absperrung.

Am nächsten Morgen hätte ich am liebsten die Augen nicht aufgemacht, so sehr graute mir vor dem Tag.

Der brach strahlend blau an, mit dem jähen Wechsel der hiesigen Wetterstimmung.

Ich ging den ganzen Vormittag wie betäubt herum, packte die Sachen meines Mannes und dachte nur das eine — wenn es doch wenigstens nur zehn Tage sind.

Mittags kam Emil mit frohen Augen heim.

Es waren wirklich nur zehn Tage!

Das war ein solches Glück gegen das Grauen der Nacht, daß wir jetzt ganz ruhig, froh und heiter sind.

Auch werden die Baracken jetzt erst aufgestellt, alles ist noch rein und die Gefahr einer Ansteckung ist jetzt weniger groß wie später.

Ich bete zu Gott, daß er seine Hände über uns hält.


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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/40&oldid=- (Version vom 1.8.2018)