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Man verspricht es ihnen nach Beendigung des Krieges reichlich zu ersetzen. Aber jetzt — jetzt? Der Winter steht vor der Tür. Die Bauern in der Umgebung von Przemysl waren fast alle wohlhabend. Denn alles gedeiht hier gut, Getreide, Gemüse und Obst. Jetzt verkaufen sie Pferde, Kühe, Schweine, Geflügel um ein geringes, sie haben keine Zeit zu warten, müssen alles lassen, wie es liegt und steht.

Darum gibt es fast keine Eier mehr, keine Milch.

Przemysl hatte schöne, stundenweite Wälder. Es waren 25—30jährige Bestände. Jetzt wird alles von unseren Truppen niedergelegt, alles abgeholzt, um freien Ausschuß zu haben und dem Feind keine Deckung zu geben. Auf wie viel Jahrzehnte hinaus dieses unglückliche Land leidet! Man kann sagen, für eine ganze Generation. Wenn man das alles mit anschaut, begreift man erst, wie glücklich jeder ist, der im warmen, geschützten Herzen des Vaterlandes haust! Muß er auch hinaus, so weiß er doch Weib und Kind, Haus und Hof in Frieden daheim.

Merkwürdigerweise hört man diese armen Vertriebenen nicht klagen, und fast nie sieht man ein Weib weinen. Sie sitzen, in ihre Schaffelle gehüllt, unbeweglich auf ihren Karren mit den niedrigen, armseligen Pferden und starren stumpf vor sich hin. Man könnte fast meinen, es wäre diese Heimatlosigkeit ihnen nichts Neues, als läge sie ihnen von ihren Vorvätern her im Blute, eine alte Gewohnheit ihrer unsäglichen Armut.


Przemysl, den 28. September 1914,
     am 11. Tag der Absperrung.

Noch immer keine Post! Wenigstens ging bisher noch ab und zu Feldpost per Automobil über Sanok

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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/38&oldid=- (Version vom 1.8.2018)