Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/27

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

von Pferden und Menschen, die alles mit sich fortriß. Ich rettete mich in einen Winkel hinter Troßwagen und wollte abwarten, bis sie vorbei waren. Aber ich sah schließlich ein, daß an ein Abwarten gar nicht zu denken war, geht es doch nun schon vier Tage ununterbrochen so. Ich sehe erst hier, daß ich nicht die leiseste Vorstellung davon gehabt habe, was eine Armee ist — was Hunderttausende sind. Es ist das ein Begriff, der so sehr unsere gewöhnlichen Maße übersteigt, daß wir erst diese gewaltige Zeit dazu brauchen, um ihn erfassen zu lernen, Wie ich endlich mit vielerlei Umgehungen zwischen den Troßwagen durchgekrochen und nach Hause gekommen war, mußte ich mich einen Augenblick hinlegen und die Augen schließen. Das ganze Haus und das Bett mit bebte von der ungeheueren Erschütterung der Straße. Und dazu wohnen wir glücklicherweise hofseitig, so daß das Getöse doch schon etwas abgeschwächt, wie das Anstürmen von Riesenwogen, hereinschlägt.


Przemysl, den 18. September 1914.

Heute nacht um 11 Uhr kam Befehl, sofort die Bahnhoflichter zu löschen und den Bahnhof zu sperren, von heute ab verkehren keine Züge mehr.

Mir ist das Herz um Mamas willen schwer! Wie wird sie diese Tage ohne Nachricht von uns überstehen! Gib, lieber Gott, daß diese Zeit der Absperrung nicht zu lange dauert und man bald wieder voneinander weiß! Das ist das Härteste! Ich bin nur glücklich, Mama in Teschen so gut aufgehoben zu wissen. Man wird es ihr dort leichter machen.

Es ist ein so merkwürdiges Gefühl, diese totale Absperrung. Es kommen keine Briefe, keine Zeitungen. Wir werden nicht wissen, wovon die ganze Welt erzittert.

Empfohlene Zitierweise:
Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/27&oldid=- (Version vom 1.8.2018)