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lagern in der Halle die auf den Abtransport wartenden russischen Soldaten. Ein Gewühl, daß keine Stecknadel zu Boden fallen könnte.

Durch eine Unvorsichtigkeit meinerseits wird die junge Russin vor mir auf uns aufmerksam. „Österreicherinnen, Österreicherinnen! aus Przemysl, aus Przemysl!“ sagt sie laut und höhnisch zu ihrem Nachbar. Sie spricht russisch, und ich verstehe nicht, was sie sagt. Aber ich höre den Namen Österreich, Przemysl und Kusmanek und fühle die Flut von Hohn, die sich über uns ergießt!

Ich werde totenbleich. Aber ich will nicht begreifen. Das ist ja Wahnsinn. Kann diese Gemütsroheit mich treffen? Schwester Mania neben mir steht mit trotzigem Mund und mit flammenden Augen. Doch die Russin wendet sich immer feindlicher gegen uns. Sie spricht jetzt zu den russischen Offizieren und Soldaten, die uns umstehen, höhnt und spottet: „Österreicherinnen, Österreicherinnen, die nach Rußland fahren wollen!“

Ich sehe um mich. Eine russische Uniform an der anderen. Wenn jetzt dieser Funken Haß zündet, einschlägt —!

Aller Augen sind aus uns gerichtet.

Einen Augenblick ist Totenstille um uns.

Und dann etwas Unerwartetes.

Dicht hinter uns stehen zwei Tscherkessen, im roten Kittel, den Revolver im Gürtel, auf der Brust die Patronentaschen, ein Bild kühner Wildheit. Sie haben die Arme auf der Brust verschränkt, stehen erhobenen Hauptes und schauen uns unverwandt mit dunklen Augen an.

Sie hören die Worte des Hohnes und des Hasses, die aufreizend zu ihnen herüberspringen. Und sie hören sie nicht. Ihre edel geschnittenen Gesichter zucken mit keiner Muskel. Sie reagieren mit keinem Wort. Aber

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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/186&oldid=- (Version vom 1.8.2018)