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Juden zugerufen haben: „Weint nicht, bald sind wir da!“

Man kommt an wenig Dörfern, wenig Gehöften vorbei, da so vieles niedergelegt und verbrannt wurde. Die Häuser, die noch stehen, sind halbwegs erhalten, nur hier und da ein Dach teilweise abgedeckt, eine Mauer durchgeschlagen. Mitunter sieht man noch die verkohlten Reste eines verbrannten Anwesens. An manchen Stellen beginnt man schon wieder neu aufzubauen.

Um Sonnenuntergang kommen wir nach Grodek. Eine weite Ebene zu beiden Seiten des Zuges und in dieser Ebene Hügel an Hügel, Kreuz an Kreuz. Das ist das Schlachtfeld von Grodek. Das ist das Totenfeld von Grodek. Zu der einen Seite liegen die Österreicher, zu der anderen die Russen. Die Schützengräben sind zugeschüttet und zu Grabstätten geworden, auf denen die weißen, rohgezimmerten Holzkreuze stecken. Sie stehen schief und halb umgestürzt am Bahndamm, wo man noch den Abdruck des Körpers zu sehen vermeint, der sich zu letzter Todeswehr hier eingegraben. Man meint noch die zuckenden Fäuste zu sehen, die im Erdreich wühlen, die blitzenden Augen, die aus der Deckung nach dem Feinde spähen.

Sie haben ausgekämpft! Der Mantel der Nacht und des Schweigens, der Mantel des ewigen Friedens breitet sich über sie.

Schwarz, überlebensgroß, ragt das gewaltige Holzkreuz in der Mitte dieses gigantischen Hünengrabes und reckt seine Arme, die Arme des Gekreuzigten, in den hellen Abendhimmel!

Nur ein einziger, schwerer Schuß rollt herüber wie ein Ehrensalut: „Die Saat eures Blutes ist aufgegangen —!"

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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/184&oldid=- (Version vom 1.8.2018)