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Przemysl, den 27. März 1915.

Der Zugang auf das Schloß ist abgesperrt. Die Kosaken sind im Schloß, wo früher die russischen Gefangenen waren, einquartiert und reiten im Schloßpark ihre Kunststücke. Man sieht, daß sie auf dem Rücken ihrer Pferde aufgewachsen sind und diese sehr gern haben. Oft sieht man die Pferde in den Straßen ganz frei, wie Hunde hinter ihnen herlaufen, ja ich sah sogar schon einen Kosaken, den Gaul am Zügel, in einen Laden treten und einkaufen. Fast täglich ist in der Stadt ein russischer Leutnant zu sehen, der, das Pferd hinter sich, die Stiegen in den schmalen, steilen Gassen zum Schloß hinaufsteigt.

Im Schloßhof singen die Kosaken ihre Reiterlieder zu den Klängen der Balaleika, einem Instrument, das einer unten abgeschnittenen Mandoline ähnelt.

Nächste Woche sollen die Verwundeten abtransportiert werden. Nur die Nicht-Transportfähigen bleiben. Die Spitäler werden nach und nach geräumt und die hier verbleibenden Schwerverwundeten sollen in zwei oder drei Spitälern zusammengelegt werden. Einstweilen machen unsere Arzte und Sanitätsoffiziere ihren Dienst wie bisher und jedem Spital ist nur ein russischer Arzt zur Kontrolle beigegeben.

Gestern sickerten Gerüchte durch, daß unsere Armee bei Jaslo und nördlich Nadworna große Erfolge hatte, was die Russen selbst bestätigen. Heute spricht man von einem Sieg der Unsren bei Stryj.

Manchmal regt sich leise, leise, wieder ein Hoffnungsfunken in unseren müden Herzen.

Werden sie kommen?

Werden sie uns noch hier finden?

Es müßte bald sein. Der Koffer ist gepackt. Jede Stunde kann mir Emil nehmen.


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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/165&oldid=- (Version vom 1.8.2018)