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Auf diesem phantastischen Hintergrund spielt sich das regste Leben ab, das man sich denken kann. Ganz Przemysl ist auf der Straße. Auch uns beide duldet es nicht im Hause. Man ist noch zu erregt, zu aufgewühlt bis ins tiefste, als daß man es ertragen könnte, im Zimmer zu sein. Was steht uns morgen bevor? Keiner weiß es.

In den Straßen und am Sanquai ein buntes Gewühl von österreichischen, ungarischen und russischen Uniformen, aus dem die hohen Pelzmützen der russischen Soldaten und Offiziere fremdartig hervorstechen. Hellgraue, kleingeperlte Krimmermützen mit dem Messingkreuz des russischen Landsturmes, schwarze, weiße und braune Schaffellmützen, deren lange Zotten bis zu den Ohrringen niederbaumeln, die man häufig bei russischen Soldaten findet. Dazwischen vereinzelte Tscherkessen in dunkelgrünem oder grellrotem russischen Kittel, den Revolver im Gürtel, auf jeder Brust eine Reihe Patrontaschen.

Man beobachtet merkwürdige Szenen. Dort steht eine Gruppe unserer Mannschaften in eifrigem Gespräch mit ein paar Russen, von denen einer den Dolmetsch macht. Sie erzählen sich ganz freundschaftlich ihre gegenseitigen Kriegserlebnisse. Hier sitzen einige österreichische Landsturmleute auf den Überresten des geborstenen Skelettes der Eisenbahnbrücke und schneiden sich Riesenstücke von einem Laib russischen Kommißbrotes, das der Kosak ihnen gutmütig hinreicht.

Daneben debattiert laut ein russischer Soldat mit einem unserer ruthenischen Mannschaften: „Du hast nicht schlecht gegen mich sein wollen,“ sagt der Russe, „ich will nicht schlecht gegen dich sein! Du hast mir nichts tun wollen, ich hab' dir nichts tun wollen. Das ist der Krieg!“

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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/159&oldid=- (Version vom 1.8.2018)