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kaum gespürt. Es litt mich nicht länger als zwei Tage in Teschen. Immer unter dem Bann der Angst, von Przemysl abgeschnitten zu werden. Am 6. September um 5 Uhr früh reiste ich von Teschen ab, über Oderberg und Krakau hierher. Im gleichen Abteil mit mir ein Regiments- und ein Oberarzt. Sie rückten an die Grenze ein, wußten noch nicht, ob gegen Lublin oder Lemberg. Der Regimentsarzt war ein lieber, heiter-ernster Mensch, in Wien verheiratet, an dem eine Frau wohl hängen konnte. Ich habe ihm gewünscht, daß er gut zu ihr heimkommt.

Wir kamen an der Weichsel vorbei und es war sonderbar, zu denken, daß hinter der nahen Hügelreihe, die sich hinter der eintönigen Fläche der abgeernteten Felder und Weiden erhebt, Feindesland beginnt. Eine unendlich weitsichtige, klare Herbstlust, ein naher, strahlend blauer Himmel, mit friedlichen Schäferwolken. Kleine Häuser in den Feldern, hier und dort arbeiteten ein paar Weiber mit Ochsengespannen. Ein tiefer, gütiger Herbstfrieden. —

Und wären nicht Stunde um Stunde endlose Züge, mit dem roten Kreuz an der Waggonwand vorbeigerollt, man hätte den Weltbrand nicht geahnt, so nahe man ihm war. Fast in jeder größeren Station stand solch ein Zug, wenn man einfuhr. Die Schwerverwundeten in Schlafwagen gebettet, die leichter Verwundeten in Personenwagen und Frachtwaggons. Sie lagen lang ausgestreckt in den Wagen, rauchend, plaudernd und singend.

Wir standen am Fenster und winkten ihnen im Vorüberfahren zu, und da war keiner, der nicht herübergegrüßt und gedankt hätte. Da lag ein älterer Landsturmmann, gelb, elend und abgezehrt, den rechten Arm in der Schlinge. Wie wir an ihm vorbeikamen, ging ein

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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/15&oldid=- (Version vom 1.8.2018)