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man die naturfarbene Lederseite, mit grüner, roter und blauer Wollstickerei verziert. Jede Naht sowie den Gürtel markiert eine bunte Bordüre. Von der Kapuze, dem Gürtel und den Armelaufschlägen baumeln rote, grüne, violette Quasten. Unter den hohen Schaffellmützen hängt das Haar in langen, schwarzen Strähnen auf die Kapuze herab und mengt sich mit den Zotten des Schaffelles. Es sind interessante Köpfe darunter, hart, unbeweglich, wie aus Holz geschnitzt. Der Blick fast immer stumpf.

Die Weiber schillern in allen Farben. Ihre Gesichter sind stumpf und unschön, noch stumpfer wie die der Männer. Selten sieht man eine weinen. Niemals eine lachen. Es ist als ob sie in diesem Hunger nach Farbe Ersatz suchten für die Heiterkeit des Gemütes. Denn ihre farbenfrohe Tracht bietet einen sonderbaren Kontrast zu ihren Gesichtern. Sie gehen zur Winterszeit in kurzen Schaffelljacken, manche auch in Jacken aus buntem Wollstoff, mit faltigen Schößen. Die Röcke sind weit, reich in Falten gereiht, aus blauem, rotem oder grünem Stoff, oft mit grellfarbigen Streifen besetzt. Sie reichen nur bis zum Knie, das heißt, bis zu den hohen Stulpenstiefeln, die bei den reichen Bäuerinnen meist aus rotem Leder sind. Im Winter sieht man sie mit zwei, auch drei großen bunten Wolltüchern übereinander auf dem Kopf, unförmig vermummt.

Das Gedränge vor der Kirche war so groß, daß ich mir nur auf einem Umweg den Zugang zum Hauptportal erzwingen konnte. Doch bald sah ich mein lebensgefährliches Unternehmen ein und mußte auf den Gottesdienst verzichten. Heraußen vor der Kathedrale knieten die Bauern an der Kirchenwand, warfen sich mit der Stirn auf die Erde und küßten den Schnee.

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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/112&oldid=- (Version vom 1.8.2018)