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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 6

Auslieferung (deditio) jedes römischen Bürgers, der die Person eines Fremden oder die Rechte eines fremden Staats verletzt hatte, zu bewerkstelligen, umgekehrt aber auch die Auslieferung eines Fremden zu verlangen, von welchem einem römischen Bürger oder dem römischen Staat Ähnliches widerfahren war.

Fêtieren (franz.), jemand feiern, einem zu Ehren Festlichkeiten (Fêten) veranstalten.

Fétis (spr. -tihs), François Joseph, Musikgelehrter, auch Komponist, geb. 25. März 1784 zu Mons in Belgien als Sohn eines dortigen Organisten, erhielt den ersten Unterricht in der Musik von seinem Vater und versah bereits von seinem 10. Jahr an den Organistendienst in einer Kirche seiner Vaterstadt. Im J. 1800 trat F. in das Konservatorium zu Paris, wo er von Rey in der Harmonielehre, von Boieldieu und später von Pradher im Klavierspiel unterrichtet wurde, bereiste sodann (1803) Deutschland und Italien, um die musikalische Produktion beider Länder näher kennen zu lernen, und kehrte hierauf nach Paris zurück. Eine reiche Heirat (1806) erlaubte ihm, sich ausschließlich seinen Studien zu widmen; doch verlor er sein Vermögen schon nach vier Jahren durch den Bankrott seines Bankiers und zog sich infolgedessen aufs Land (ins Departement der Ardennen) zurück, bis er 1813 zum Organisten und Professor an der Musikschule zu Douai berufen ward. Hier lieferte er einige Kompositionen im Kirchenstil, unter andern eine fünfstimmige Messe und ein Requiem. Im J. 1818 kehrte er nach Paris zurück und brachte hier, nachdem er 1821 zum Kompositionslehrer am Konservatorium ernannt war, eine neue Unterrichtsmethode zur Geltung, entwickelte auch außer seinem amtlichen Wirkungskreis eine erfolgreiche Thätigkeit, indem er Vorlesungen über Musik hielt, sogen. historische Konzerte veranstaltete und 1827 die musikalische Zeitschrift „Revue musicale“ gründete, welche bald eine Art von klassischer Autorität wurde und für Verbreitung eines bessern Geschmacks und tieferer musikalischer Kenntnisse, insbesondere durch richtige Würdigung fremder, namentlich deutscher, Musik, gewirkt hat. Im J. 1833 folgte F. einem Ruf als Kapellmeister des Königs von Belgien und Direktor des Konservatoriums zu Brüssel, das er zu einer hohen Stufe der Vollkommenheit erhob. F. starb 26. März 1871 in Brüssel. Von seinen Kompositionen ist in Deutschland wenig bekannt geworden; auch in Belgien und Frankreich hatten sie nur einen Achtungserfolg. Von seinen sieben Opern fanden „L’amant et le mari“ (1820) und „La vieille“ (1826) den meisten Beifall. Für die Kirche schrieb er außer den oben genannten Werken: Motetten und Messen, ein Miserere, die Lamentationen des Jeremias (sechsstimmig); von Instrumentalkompositionen: Sonaten, Klaviervariationen, ein Sextett mit Klavierbegleitung, eine Phantasie für Klavier und Orchester u. a. Ungleich Größeres leistete er als Theoretiker und Kunstgelehrter in den Schriften: „Méthode élémentaire d’harmonie“ (Par. 1824); „Traité de la fugue“ (das. 1825); „Solfèges progressifs“ (das. 1827); „Traité de l’accompagnement de la partition“ (das. 1829); „Quels ont été les mérites des Neerlandais dans la musique“ (Amsterd. 1829, gekrönte Preisschrift); „La musique mise à la portée de tout le monde“ (Par. 1830); „Manuel des principes de musique“ (Brüssel 1837, 2. Aufl. 1864); „Traité du chant en chœur“ (das. 1837); „Traité de la théorie et de la pratique de l’harmonie“ (das. 1844, 11. Aufl. 1875); besonders aber in seiner „Biographie universelle des musiciens et bibliographie générale de la musique“ (das. 1838–44, 8 Bde.; 2. umgearbeitete Auflage, das. 1860–65), einem mit großem Fleiß gearbeiteten Werk, das seiner Vollständigkeit wegen unentbehrlich ist, wenn auch nicht selten Oberflächlichkeiten sowie befangene und parteiische Urteile mit unterlaufen. Von seiner auf 8 Bände berechneten „Histoire générale de la musique“ erschienen nur 5 Bände (Bd. 1–4, Brüssel 1868–75; Bd. 5, Par. 1876). Seine letzte schriftstellerische Arbeit war eine trefflich geschriebene Biographie Bériots im „Annuaire de l’Académie royale de Belgique“ für 1871. Nach seinem Tod erschien ein Supplement zu seiner „Biographie universelle“ unter Redaktion von A. Pougin (Par. 1878–80, 2 Bde.). – Von seinen beiden Söhnen, Edouard Louis François F. (geb. 16. Mai 1816) und Eugène F. (geb. 20. Aug. 1820 in Brüssel), hat sich der ältere, seit 1838 Konservator der königlichen Bibliothek zu Brüssel, als Schriftsteller („Histoire des musiciens belges“, Brüssel 1849, 2 Bde.; „Les artistes belges à l’étranger“, 1857–1865, 2 Bde., u. a.), der jüngere, gest. 20. März 1873 in Paris, als Klavierspieler (Schüler von Herz) und Komponist (Romanzen, Salonstücke, Operetten) bekannt gemacht.

Fetischismus, Verehrung eines Fetisches. Das Wort Fetisch, durch de Brosses („Du culte des dieux fétiches“, Par. 1760; deutsch von Pistorius, Strals. 1785) zuerst im Umlauf gebracht, stammt von dem portugiesischen Feitiço („Zauber“) her, das vom lateinischen facticius („künstlich gemacht“) abzuleiten ist, und mit welchem die Portugiesen die Götzen der Neger am Senegal bezeichneten, indem sie dieselben sehr treffend mit den ihnen wohlbekannten Amuletten verglichen. Bald aber nannte man alle in den ältern und neuern Naturreligionen vergötterten, sinnlich anschaulichen Gegenstände Fetische und versteht demnach unter F. diejenige Form der Religion, welche annimmt, daß Gottheiten in gewissen materiellen Gegenständen eingekörpert leben können, und diese deswegen anbetet. Der F. ist daher die roheste Form des Pantheismus oder richtiger Animismus (s. d.) und stellt uns das erste trübe Hervorleuchten der Ahnung höherer Mächte dar. Die Menschen dieser Stufe denken sich noch alle Dinge der Außenwelt, organische wie unorganische, als erfüllt von einem Leben, das im wesentlichen ihrem eignen analog, also persönlich, und nur der Intensität nach davon verschieden zu denken ist. Je nachdem sie nun wahrnehmen oder wahrzunehmen meinen, daß ein äußerer Gegenstand ihnen besonders nützt oder schadet, glauben sie, daß ein großer und mächtiger Geist darin wirksam ist oder auf ihre Einladungen hin Platz genommen hat, und erweisen ihm ihre Verehrung. Finden sie jedoch, daß der Fetisch nicht der Erwartung entspricht, die sie von ihm gehegt, so geben sie ihn zu gunsten eines stärkern Fetisches wieder auf. Daher gibt es eine ganz unbestimmte Menge von Fetischen, und mancher Wilde besitzt deren eine ganze Zahl, die er und seine Vorfahren gesammelt, von denen jeder irgend einen Dienst geleistet hat, und denen allen er seine Verehrung bezeigt. Wir haben hier somit eine Art niederster Religion vor uns, die ganz auf der Idee der Zauberei und einer eingebildeten Beherrschung der Mitwelt durch Wunder beruht. Was die Beschaffenheit der Fetische anlangt, so sind es in der Regel nicht solche Gegenstände, welche durch ihre Schönheit oder ihre Größe auffallen, sondern oft die unscheinbarsten Kleinigkeiten, wie mit Garn umwundene Nägel, rote Papageienfedern, Menschenhaare, ein Topf mit Erde, in der eine Hahnenfeder steckt, u. dgl. Trotzdem ist die Hauptsache in der Hütte eines Fetischanbeters der

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 6. Bibliographisches Institut, Leipzig 1887, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b6_s0195.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2022)