Seite:Meyers b5 s0889.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 5

ward hierauf französische Provinz und durch Senatsbeschluß vom 30. Mai 1808 für einen Teil des französischen Kaiserreichs erklärt, 1809 aber als Großherzogtum Toscana der Schwester Napoleons I., Elisa, zugewiesen, die es 1814 wieder an das frühere Regentenhaus abtreten mußte. Vgl. Toscana.

Erst die neuere Zeit hat wieder anerkannt, welche bedeutende Stelle die Etrusker unter den Völkern des Altertums einnahmen, obwohl man über ihren Ursprung noch nicht klar geworden ist. Während die altitalischen Mundarten (das Umbrische, Oskische etc.) sich unzweifelhaft als Zweige des indogermanischen Sprachstammes auswiesen, bot die von jenen verschiedene Sprache der Etrusker (das Tuskische) einer genügenden Erklärung bisher hartnäckig Trotz; man hielt sie bald für eine Mischsprache, bald für eine semitische (so Stickel 1859). In neuerer Zeit versuchte Corssen („Über die Sprache der Etrusker“, Leipz. 1874–75, 2 Bde.) den Beweis, daß wir, wie in der umbrischen und oskischen Sprache, so auch im Etruskischen einen dem Lateinischen verwandten Zweig des großen indogermanischen Sprachstammes zu erkennen haben. Doch fand diese Ansicht mehrfachen Widerspruch, namentlich von seiten Deeckes (in seiner neuen Ausgabe von O. Müllers „Etrusker“, Stuttg. 1877), der indessen mit ebensowenig Erfolg die etruskische Sprache dem finnischen Sprachstamm zuwies. Das Hauptdenkmal des Tuskischen ist die 1822 gefundene sogen. Perusinische Inschrift; daraus wie aus den vielen andern noch vorhandenen Inschriften ergibt sich, daß diese Sprache eine große Härte, namentlich durch Häufung von Konsonanten, besaß. Dem Alphabet liegt das phönikische zu Grunde, das jedoch erst durch die Griechen zu den Etruskern kam, da sich nur sehr wenige Buchstabenformen finden, die nicht auch auf griechischen Inschriften vorkämen. Dagegen wurde von den Etruskern an der orientalischen Schreibweise von der Rechten zur Linken festgehalten. Von den Zahlzeichen, die auch von den Römern angenommen worden sind, läßt sich bezweifeln, ob sie zu demselben Schriftsystem gehören wie die Buchstaben.

Kulturverhältnisse der Etrusker.

Was die politischen Verhältnisse betrifft, so bestand die Bevölkerung aus einem herrschenden und einem unterthänigen Teil, welch letzterer sich mit den thessalischen Penesten oder den Heloten vergleichen läßt. Die Städte wurden von einem Priesteradel regiert; die herrschenden Geschlechter (Lucumones) der einzelnen Städte entschieden zusammen über die allgemeinen Angelegenheiten der Nation. Das Verhältnis der Bundesstaaten untereinander war ein unabhängiges und ziemlich lockeres; doch scheint Tarquinii alte Ansprüche auf die Leitung des Ganzen gehabt zu haben. Die Bundesversammlungen, welche jährlich, in dringenden Fällen aber auch öfter gehalten wurden, fanden beim Tempel der Göttin Voltumna statt, der wahrscheinlich in der Nähe des Vadimonischen Sees lag. Man feierte sie durch Opfer und Spiele, wählte einen Oberpriester und im Fall eines Kriegs einen gemeinsamen Bundesfeldherrn, dem dann jeder der zwölf Staaten einen Liktor sandte, beschloß über Krieg und Frieden und beratschlagte über alle die Gesamtheit des Bundes angehenden Gegenstände. Die Lucumonen bildeten den herrschenden Stand und hatten allein auf die höchsten Würden Anspruch, besonders auf die königliche Würde, die in den frühern Zeiten Etruriens in den einzelnen Staaten verfassungsmäßig bestand. Später wurde das Königtum aufgehoben und durch jährlich wechselnde Magistrate ersetzt. Der öfters vorkommende Beiname Lars oder Larth bezeichnete den Herrscher. Eigentümlich waren der tuskischen Adelsherrschaft ein großer Ahnenstolz und Neigung zu Pomp in Kleidung und Insignien, wie ja auch vieles, was zu Rom die Magistrate äußerlich auszeichnete, wie die Lictores, Apparitores, die elfenbeinernen Kurulsessel, die Toga praetexta, der Pomp der Triumphe etc., von den Etruskern entlehnt wurde.

Hauptbeschäftigung der Etrusker waren Ackerbau und Handel zur See und zu Lande, denn schon in sehr früher Zeit führte von E. ein Handelsweg über die Alpen nach dem Norden. Auf dem Meer waren die Etrusker nach den Griechen, Phönikern und Karthagern das bedeutendste Handelsvolk, was auch durch ihre Handelsverträge mit Karthago bestätigt wird. Die wichtigsten Häfen waren Pisä, Populonia und Cäre. Die ausgeführten Waren bestanden hauptsächlich in den reichen Naturprodukten des Landes, aber auch in Erzeugnissen des Gewerb- und Kunstfleißes, unter welchen hauptsächlich tuskische Schuhe, Thongeschirre und künstliche Erzarbeiten einen großen Ruf genossen. Wie alle seefahrenden Nationen des Altertums, trieben die Etrusker auch Seeraub und waren deshalb übel berüchtigt und gefürchtet. Für die Ausbreitung des tuskischen Handels sprechen namentlich die noch vorhandenen Münzen, welche beweisen, daß E. seit alten Zeiten sein eignes Münzsystem hatte und Kupfermünzen schlug oder vielmehr goß, ohne es von den Griechen erlernt zu haben. Umbrien, Latium, das ganze Mittelitalien nahmen dieses Münzsystem an, ebenso die griechischen Kolonien und Sizilien. Die Form dieser gegossenen Kupferstücke (aes grave), die meist die Prägorte Volaterrä, Clusium, Telamon, Hatria tragen und lange das alleinige Geld Mittelitaliens waren, war zuerst viereckig und erst später rund. Das Duodezimalsystem herrschte auch hier. Was das Kriegswesen anlangt, so gehörte der Ruhm tuskischer Tapferkeit frühern Zeiten an, ehe die Etrusker den Römern unterlagen. Später neigten die Etrusker zur Verweichlichung und Schwelgerei und zum Luxus. In der Bauart der Wohnhäuser sind aus E. mehrere Einrichtungen in Italien üblich geworden, wie das Atrium oder Cavädium, der Sammelplatz der Familie, dessen älteste und einfachste Art Tuscanicum hieß. Über die Baukunst der Etrusker ist im Artikel „Baukunst“ (mit Tafel V, Fig. 1–11) ausführlich berichtet. Unter den Zweigen der Plastik (s. Artikel „Bildhauerkunst“ und Tafel I, Fig. 15, Tafel II) blühte in E. besonders die Bereitung von Thongefäßen, welche in allen möglichen Formen verfertigt wurden und eine große technische Fertigkeit, ja auch feinen Kunstsinn der Griechen bekunden. Auch wurden in früherer Zeit Tempelzierden, Reliefs und Statuen in den Giebelfeldern häufig aus Thon gefertigt. Sehr zahlreich waren auch Erzbilder, deren Volsinii bei seiner Eroberung gegen 2000 zählte. Besonders geschätzt waren aus Gold getriebene Schalen und allerlei Bronzearbeiten, wie Kandelaber; ebenso wurden silberne Becher, Throne von Elfenbein und edlem Metall, Bekleidungen für Prachtwagen von Erz, Silber, Gold und reichverzierte Waffenstücke in Menge gefertigt. In diese Klasse gehören auch die auf der Rückseite gravierten Bronzespiegel. Weniger wurde die Skulptur in Stein geübt, dagegen in der Steinschneidekunst Vorzügliches geleistet. Man verband mit einer bewundernswürdigen Feinheit der Ausführung eine gewisse Vorliebe für gewaltsame Stellungen und übertriebene Bezeichnung der Muskulatur, wodurch selbst die Wahl der

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 5. Bibliographisches Institut, Leipzig 1886, Seite 889. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b5_s0889.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2022)