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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 4

ei, ai) oder nachklingenden Vokalen (a, ä, e etc.) und Liebhaberin träg absinkender Endlaute. Sagt z. B. jene runde Mundart Foot (Fuß), Göder (Güter), so lauten diese Worte in der breiten Sprache: Faut, Gaudre oder Gaure. Allgemeine Eigentümlichkeiten des Niederdeutschen sind, daß es scharfe Laute, wie x, ch, z, k. nicht hat, dagegen sanftere Laute, wie w, v, j, liebt und ch und g viel weicher ausspricht. Eigentümlich ist auch, daß, wenigstens in vielen Gegenden, besonders in Westfalen, sch in der Aussprache getrennt wird, also z. B. S-chinken, s-chön. Charakteristisch für den Niederdeutschen ist ferner die reine, spitzige Aussprache des sp (z. B. s-prechen statt des hochdeutschen schprechen). Überhaupt ist der ganze Konsonantenbau weich und einfach, leicht und geschmeidig, freilich aber auch eintönig und kraftlos. Der eigentliche Charakter des Niederdeutschen ist Naivität, die ihm etwas Kindliches und Gemütliches verleiht. Daß es nicht Schriftsprache geworden ist, kann kaum bedauert werden, denn ohne fremde Elemente hätte es schwerlich die Kraft und Fülle unsrer Schriftsprache erreicht. Auch sind mehrere Ausdrücke und Wendungen aus dem Oberdeutschen bereits in das Niederdeutsche übergegangen, weil in Oberdeutschland die Bildung fortgeschritten ist, dagegen in Niederdeutschland die eigentliche Landessprache aufgehört hat, Organ der Poesie und Wissenschaft zu sein; ja, man hat sogar die oberdeutsche Aussprache in einzelne Wörter aufgenommen. Seitdem die hochdeutsche Schriftsprache die Herrschaft über das gesamte Deutschland errungen, wurde wenig mehr in niederdeutscher Mundart (die man ziemlich allgemein, aber nicht ganz treffend auch als Platt, Plattdeutsch bezeichnet) gedichtet, obwohl es an einzelnen Versuchen, dieselbe wieder zur Schriftsprache zu erheben, nicht fehlte. Glücklicher als J. H. Voß waren in dieser Beziehung Bornemann („Gedichte in plattdeutscher Mundart“, 6. Aufl., Berl. 1854), Bärmann („Rymels und Dichtels“ im Hamburger Dialekt), L. Giesebrecht und Klaus Groth (in seinem bekannten „Quickborn“), namentlich aber F. Reuter, der durch seine Schriften in allen Gauen Deutschlands seiner mecklenburgischen Muttersprache Freunde zu gewinnen wußte. Stets dagegen sprudelte die Poesie des Volkes in reicher Quelle in Märchen, Sagen und Liedern, und das Gewand derselben war natürlich immer auch die Mundart des Volkes. Einen ganzen Schatz solcher Lieder und Sagen findet man in Firmenichs „Germaniens Völkerstimmen“. Als reichhaltige Einzelsammlung ist zu nennen: „Volksüberlieferungen in der Grafschaft Mark“ von Woeste (Iserl. 1849); als Wörterbuch der plattdeutschen Sprache: Berghaus, Sprachschatz der Sassen (Brandenb. 1877 ff.). Von ältern Idiotiken für einzelne niederdeutsche Untermundarten liegen vor: ein Wörterbuch für den bremischen Dialekt von der Deutschen Gesellschaft zu Bremen (Brem. 1767–1772, 5 Bde.; neue Ausg. 1881); für den hamburgischen von Richey (Hamb. 1755); für den osnabrückischen und westfälischen von Strodtmann (Altona 1756); für den holsteinischen von Schütze (Hamb. 1800–1807, 4 Bde.). Von neuern sind bemerkenswert: das „Ostfriesische Wörterbuch“ von Stürenburg (Aurich 1857), das „Göttingisch-Grubenhagensche Idiotikon“ von Schambach (Hannov. 1858), das „Wörterbuch der altmärkisch-plattdeutschen Mundart“ von Danneil (Salzwedel 1859) und das westfälische von Woeste (Norden 1882). Nennenswerte Spezialgrammatiken sind die „Grammatik des mecklenburgischen Dialekts“ von Nerger (Leipz. 1869) und die „Westfälische Grammatik“ von Jellinghaus (Brem. 1877). Vgl. Lübben, Das Plattdeutsche in seiner jetzigen Stellung zum Hochdeutschen (Oldenb. 1846); K. Groth, Briefe über Hochdeutsch und Plattdeutsch (Kiel 1858), und Jellinghaus, Einteilung der niederdeutschen Mundarten (Kiel 1884). Von der friesischen Sprache haben sich in Deutschland nur spärliche Reste erhalten, nämlich auf einigen schleswigschen Inseln: Sylt (Gedichte im Sylter Dialekt von Hansen), Föhr, Amrum und Helgoland, und einem kleinen Streifen der schleswigschen Westküste. Ostfriesland ist schon seit dem 15. Jahrh. niederdeutsch; eine Sammlung „Plattdütsk-ostfreesker“ Gedichte etc. enthält Woortmanns „Sanghfona“ (Emden 1838, 2 Tle.).

Die Mundarten der von slawischer Bevölkerung eingeschlossenen deutschen Ansiedler (Sprachinseln) gehören sämtlich dem ober- oder mitteldeutschen Sprachgebiet an. Die sehr zahlreichen Deutschen in Ungarn gehören verschiedenen Stämmen an. Die Mundarten des ungarischen Berglandes hat Schröer ausführlich behandelt (Wörterbuch, Wien 1858–59; Grammatik u. Sprachproben, das. 1864) u. nachgewiesen, daß sie mitteldeutscher Abkunft sind. Die Mundart der Deutschen in Siebenbürgen beweist ganz entschieden, daß dieselben vom Niederrhein dahin eingewandert sind. Ihre Sprache stimmt überraschend zu den niederrheinischen oder mittelfränkischen Mundarten. Man unterscheidet mehrere Dialekte, den Hermannstädter, den Kronstädter oder burzenländischen, den Bistritzer oder Nösner, den Agnetler und Schäßburger. Für die Erforschung ihrer Mundart sind die Siebenbürger in neuerer Zeit sehr thätig gewesen. Gedichte in siebenbürgisch-sächsischer Mundart veröffentlichte Viktor Kästner (Hermannst. 1862), Volkslieder, Sprichwörter etc. Fr. W. Schuster (das. 1865) und Haltrich. Letzterer lieferte auch Vorarbeiten zu einem Idiotikon. Die deutschen Dialekte der Liv- und Esthländer gehören zu den obersächsischen; die Liven und Esthen sollen unter allen Deutschen im Ausland ihre Sprache am reinsten und unvermischtesten erhalten haben. Vgl. „Idiotikon der deutschen Sprache in Liv- und Esthland“ (Riga 1785); Sallmann, Versuch über die deutsche Mundart in Esthland (Kassel 1873); Derselbe, Beiträge zur deutschen Mundart in Esthland (Leipz. 1877 u. Reval 1880).

Sammlungen von mundartlichen Sprachproben lieferten: Radlof („Mustersaal aller deutschen Mundarten“, enthaltend Gedichte, prosaische Aufsätze und kleine Lustspiele, Bonn 1822, 2 Bde.), J. Günther (Jena 1841), Giehne (Wien 1873) und ein Ungenannter („Die deutschen Mundarten im Lied“, Leipz. 1875). Das bei weitem vollständigste und systematischte Werk dieser Art hat aber Firmenich geliefert: „Germaniens Völkerstimmen. Sammlung der deutschen Mundarten in Dichtungen, Sagen, Märchen, Volksliedern etc.“ (Berl. 1841–66, 3 Bde. nebst Anhang), woselbst man auch dem Inhalt nach sehr anziehende Proben der Mundarten aus mehreren Hunderten von Orten und Gegenden Deutschlands findet. Für die niederdeutschen Dialekte ist wichtig die Sammlung von A. und J. Leopold, Van de Schelde tot de Weichsel (Groning. 1876–81, 2 Bde.). Für die wissenschaftliche Erforschung der Mundarten erschien eine eigne Zeitschrift: „Die deutschen Mundarten“, herausgegeben von Fromman (1851–59, Bd. 1–6; 1875 ff., Bd. 7), worin wertvolle Einzelforschungen über Grammatikalisches und Lexikalisches niedergelegt sind. Eine erschöpfende und nach allen Seiten gleichmäßige Behandlung der deutschen Mundarten aber ist bis jetzt nicht möglich gewesen, da nur die bayrische Mundart so glücklich war, einen Schmeller zu finden, die übrigen

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 4. Bibliographisches Institut, Leipzig 1886, Seite 787. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b4_s0787.jpg&oldid=- (Version vom 13.6.2021)