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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 4

Delta (griech.), Bezeichnung der nur wenig über den Meeresspiegel sich erhebenden Landstrecken und Inseln, welche man oft an den Mündungen der Ströme findet, deren Arme sich zwischen ihnen hinziehen, um sich ins Meer (Meeresdelta) oder in einen See (Binnendelta) zu ergießen. Sie entstehen durch den von dem Fluß mitgeführten, hier abgelagerten Schlamm und Sand und werden mit dem Namen D. bezeichnet, weil sie mitunter eine dreieckige, also der Form des griechischen Buchstaben D. (Δ) ähnliche, Gestalt haben; die Basis des Dreiecks ist dem Meer zugekehrt, die Spitze dem Land. Im weitern, rein genetischen Sinn werden alle Neubildungen von Festland an den Mündungen der Flüsse in das Meer oder in einen Binnensee ohne Rücksicht auf ihre Form als Deltas bezeichnet. Es lassen sich im Hinblick hierauf die Flüsse teilen in solche, welche zur Bildung von Festland nichts beitragen, und in landaufbauende. Erstere münden entweder ohne Erweiterung des Rinnsals (z. B. Duero, Guadiana) oder mit trichterförmiger Erweiterung (Ästuarium; Elbe, Weser, Themse). Die landaufbauenden Flüsse besitzen entweder einfache Mündungen (Ebro, Arno) oder geteilte, und in letzterm Fall lassen sich wieder solche ohne Erweiterung des Rinnsals (Po, Rhein, Donau) oder mit erweiterten Mündungskanälen (Ganges, Brahmaputra) unterscheiden. Die Ursachen der Deltabildung suchte man bislang fast allgemein in dem Mangel an Ebbe und Flut in den betreffenden Meeresteilen, wobei man besondern Reichtum der Flußläufe an transportiertem Material, langsamen Abfall des Meeresgrundes, Trägheit der Bewegung im Unterlauf des Flusses als die Deltabildung unterstützende Faktoren betrachtete. Neuerdings hat Rud. Credner den Satz aufgestellt, daß das Auftreten von Deltas regelmäßig zusammenfällt mit der Existenz säkularer Hebungen der benachbarten Küstenstriche, während sie überall fehlen, wo die Küste in einer langsamen Bewegung nach abwärts begriffen ist, und daß sich diese Erscheinung in den Binnenseen wiederholt insofern, als nur die in Seen mit sinkendem Wasserspiegel einmündenden Flüsse Deltas bilden, während die letztern fehlen, wenn sich der Wasserspiegel des Sees hebt. Ausnahmen von dieser Regel erkennt er nicht an, sondern sucht sie durch lokale Verhältnisse zu erklären. So sei das in ein Senkungsgebiet fallende Nildelta überhaupt ein prähistorisches, das nur an Stellen noch Zuwachs zeige, wo künstlich angelegte Kanäle und Dämme Ablagerungen des Schlammes hervorrufen. Die für die Pogegend behauptete Senkung existiere überhaupt nicht, sondern reduziere sich auf ein Zusammensickern der Erdmassen infolge des Ausfaulens zahlreich eingeschlossener vegetabilischer Reste. Abgesehen von der Hypothese, deren Richtigkeit von mehreren Seiten bezweifelt worden ist, enthält Credners Arbeit eine sehr verdienstvolle Kritik der für Größe, Wachstum etc. der Deltas angegebenen Zahlen, die wir deshalb dieser Arbeit entnehmen. Credner zählt überhaupt 143 größere deltabildende Flüsse, welche sich auf die Erdteile, zugleich mit der Unterscheidung als Meeresdelta oder als Binnendelta, wie folgt verteilen:

Meeresdeltas Binnendeltas Summa
Europa 38 16 54
Asien 42 14 56
Amerika 15 02 17
Afrika 11 01 12
Australien und Polynesien 04 04

Legt man behufs einer Vergleichung zwischen der Anzahl deltafreier und derjenigen deltabildender Ströme die von Klöden angenommene Zahl selbständiger Flüsse zu Grunde, so sind unter 171 Strömen 26 hinsichtlich ihrer nähern Mündungsverhältnisse unbekannt; unter dem Rest (145) gibt es 70 deltabildende und 75 deltafreie Ströme.

Gruppiert man ferner die Flüsse nach ihrer Stromlänge, so resultiert folgende Tabelle:

  Stromlänge in Meilen
über
200
200–100 100–50 unter
50
Flüsse mit Deltamündungen 26 22 8 14
offenen Mündungen 13 13 21 28

Zieht man die vier Kolumnen in zwei zusammen: Ströme über und unter 100 Meilen Stromlänge, so überwiegen in der ersten Abteilung die Flüsse mit Deltas fast um das Doppelte (48 gegen 26), während sich das Verhältnis bei den kleinern Flüssen fast genau umkehrt (22 gegen 49). Über die Flächenausdehnung der Deltas gibt folgende Tabelle Aufschluß:

Name des Deltaflusses Flächeninhalt Hektar Länge Kilom. Breite Kilom.
Ganges und Brahmaputra 8 259 435 354,0 321,8
Mississippi 3 185 933 320,0 300,0
Nil 2 219 400 170,6 ,0
Donau 258 795 74,2 74,2
Rhône 75 000 ,0 ,0
Aude 20 000 ,0 ,0
Niger 000 148,4 326,5
Memel 000 51,9 46,3
Wolga 000 448,0 ,0
Ural 000 ,0 53,3

Als zuverlässige Zahlen für die Mächtigkeiten der Ablagerungen lassen sich angeben: Für das Nildelta im Mittel 10 m Mächtigkeit, mitunter 14–15 m, für den Rhein bis über 60 m, Rhône bis über 100 m, Po etwa 120 m, an einzelnen Stellen bis zu 172,5 m. Für die Mächtigkeit der Deltabildung des Mississippi lassen sich 9–16 m in der Gegend von New Orleans annehmen; seewärts vermehrt sich die Mächtigkeit schnell und bedeutend. Am Ganges wurden im Durchschnitt 18 m gemessen.

Am unzuverlässigsten sind die Angaben über den jährlichen Zuwachs der Deltabildungen. So schwanken die Angaben für das Mississippidelta beispielsweise zwischen 80 und 495 m jährlichen Zuwachses. Was von einigermaßen zuverlässigen Zahlen in der Litteratur niedergelegt ist, enthält die folgende Tabelle:

Jährliches Wachstum
Delta des Terek 495 Meter
- - Po 70 -
- - Rhône (Mittelmeer) 58 -
- - Euphrat und Tigris 54 -
- - Hoangho 30 -
- - Peiho 24 -
Delta der Donau 12 -
Delta des Arno 6 -
Delta der Donau (Sulina) 4 -
Delta des Nils 4 -
- - Rhône (Genfer See) 3 -
- - Tiber (Ostia-Arm) 3 -
- - Hérault 2 -
- - Saigon 2 -
Delta der Traun (Hallstätter See) 1 -
Delta des Tiber (Fiumicino) 1 -

Als Beispiel des kartographischen Bildes einer Deltabildung geben wir in der Abbildung die Pomündung. Ehedem mündete der Po bei Ravenna, das, wie Venedig in Lagunen gelegen, bis zum Mittelalter

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 4. Bibliographisches Institut, Leipzig 1886, Seite 654. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b4_s0654.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2021)