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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 2

Kirchengemeinde ist, leuchtet die Billigkeit solcher Bestimmungen ein; wo jene sich aber in mehrere Konfessionen teilt, kann mit Recht nur die Kirchengemeinde als baupflichtig erklärt werden. Ähnliches findet gewöhnlich auch bei Schulhausbauten statt, insofern nämlich nicht eigne Fonds oder näherliegende Hilfsquellen dazu vorhanden sind. Übrigens tritt hier wie dort auch die subsidiäre Baupflicht des Staats ein, deren Grenzen jedoch meist sehr eng gezogen sind.

Die Vervollständigung und nähere Bestimmung der baurechtlichen Gesetze enthalten die polizeilichen Bauordnungen, welche wegen der Verschiedenheit der lokalen Umstände und Bedürfnisse zwar wohl auf allgemeinen Grundsätzen beruhen, jedoch für die Anwendung derselben größtenteils nur partikuläre Vorschriften enthalten können. Es werden durch solche polizeiliche Vorschriften gleichfalls Rechte begründet, sowie anderseits auch die zivilrechtlichen Gesetze großenteils auf polizeilichen Interessen beruhen. Die Entscheidung wird entweder bloß nach der Eigenschaft der Allgemeinheit oder Partikularität der Verordnung oder nach dem darin vorherrschenden Charakter ihres Zweckes, ob sie nämlich mehr das private oder das öffentliche Interesse berührt, getroffen. Von letzterm Umstand hängt auch größtenteils die Bestimmung der Behörde ab, ob die Polizei- oder Justizbehörde die Vorschrift handhaben und über ihre Befolgung wachen soll, und an welche sich deshalb auch der Beteiligte zu wenden hat. Das öffentliche Interesse bei Bausachen geht vorerst dahin, daß die zum öffentlichen Gebrauch bestimmten oder dem Gesamtbedürfnis gewidmeten Baulichkeiten mit den mindesten Unkosten in thunlich entsprechender Zahl und Vollkommenheit aufgeführt und unterhalten werden. Doch findet dasselbe Interesse auch in Ansehung der Privatbauten statt, da, was den Wohlstand und den Lebensgenuß der Einzelnen fördert, auch Gewinn für die Gesamtheit ist. Die teils landwirtschaftlichen, teils polizeilichen Zwecke der Bauordnungen, überhaupt der von seiten des Staats dem Bauwesen zu widmenden Interessen bestehen sonach darin, daß gut, d. h. zweckmäßig, bequem und dauerhaft, gesund, vor Feuers- (und Wassers-) Gefahr möglichst gesichert, allerseits unnachteilig und ungefährlich, thunlichst wohlfeil und, soweit die bemerkten Zwecke und die übrigen Verhältnisse es erlauben, auch geschmackvoll und schön gebaut werde. Das allgemeinste Mittel zur Erreichung dieser Zwecke ist eine zweckmäßige Ordnung und Beaufsichtigung der dem Bauwesen gewidmeten Gewerbe, Unterrichtsanstalten zur Bildung tüchtiger Baumeister und Bauhandwerker, endlich die Einsetzung einer technischen Behörde zur Leitung und Beaufsichtigung des gesamten öffentlichen und Privatbauwesens im Staat und die Verteilung ihrer bauverständigen Mitglieder über die hierfür zu bestimmenden Bezirke. Für die der Gesundheit entsprechende Anlage der Bauten gibt die Sanitätspolizei die geeigneten Vorschriften. Wenn zur Erweiterung der Straßen oder zur Herstellung von Plätzen das Niederreißen von Privatgebäuden oder zur Ausführung der zur Erweiterung einer Stadt oder zu neuen Anlagen erforderlichen baulichen Veränderungen die Erwerbung von Privatgrundstücken notwendig ist, so muß hierzu ein angemessenes Expropriationsgesetz, das den billigen Ansprüchen der Eigentümer Genüge leistet und zugleich die Gesamtheit vor mutwilliger Hemmung oder unmäßiger Verteurung schützt, die Möglichkeit der Realisierung darbieten. Zur Wohlfeilheit der Bauten tragen neben der freien Konkurrenz der Gewerbtreibenden oder überhaupt einer guten Gewerbeordnung die Anstalten für Herbeischaffung oder Bereithaltung der nötigen Baumaterialen bei, welche nach Verhältnis des wahrscheinlichen Bedürfnisses der verschiedenen Ortschaften oder Bezirke zu treffen sind und namentlich in der Sorge für Errichtung einer hinreichenden Zahl von Kalk- und Ziegelbrennereien, für bequemen Transport von Bauholz aller Art, von Bausteinen und andern Baumaterialien bestehen. Die von Staats oder Gemeinde wegen oder auf deren Betreiben von Privaten anzulegenden Magazine solcher Materialien, die sogen. Bauhöfe, und, wo bei etwa mangelnder Konkurrenz eine monopolistische Verteurung droht, die Festsetzung mäßiger Bautaxen für die verschiedenen Arten der Arbeit und der Arbeiter dienen demselben Zweck. Wo sich ansehnliche Gemeindewaldungen vorfinden, wird, ebenso billig wie zweckmäßig, den baulustigen Bürgern das Bauholz zu einem ermäßigten Betrag (dem sogen. bürgerlichen Preis) zu verabfolgen sein, nach Umständen auch andre Baumaterialien, namentlich Bausteine, Kalk und Ziegel.

Geschichte der Baukunst.

Die Urgeschichte der B. ist, wie die der andern Künste, in Dunkelheit gehüllt. Ausgegrabene Höhlen, Hütten aus belaubten Zweigen oder Baumstämmen waren die ersten Bauwerke, welche aus Menschenhand hervorgingen. Ein schlichter Stein bildete in jenen frühsten Tagen den Altar, auf den die Gottheit sich niederlassen sollte, um die Gaben und die Gebete der Sterblichen zu empfangen; ein Hügel von Erde türmte sich über den Gebeinen des entschlafenen Helden empor, dessen Großthaten an dem Ort seiner irdischen Rast durch Opfer gefeiert wurden. Mit der Entwickelung des Menschengeschlechts nahmen jene rohen Denkzeichen ein bestimmteres Gepräge an, so: die Grabhügel, welche sich in den nördlichen Ländern Europas in großer Zahl vorfinden, deren Fuß häufig durch einen Kreis von Steinen bekränzt und deren Gipfel durch mächtige Steinplatten gekrönt wird; die Steinpfeiler, hohe, schlanke Steine von zuweilen fast obeliskenartiger Form, die einzeln oder in Gruppen bei einander stehen und besonders häufig im skandinavischen Norden vorkommen, wo man sie Bautasteine nennt und für Denkmäler gefallener Helden hält, und die sogen. Hünenbetten, in der Bretagne Dolmins oder Lechs, bei den Britanniern Cromlechs genannt, welche ebenfalls für Grabmonumente oder Opferstätten gelten. Die merkwürdigen Wagsteine (die Rockingstones der Engländer und Rokkestene der Skandinavier), Felsen, die auf eine oder zwei Unterlagen so aufgesetzt sind, daß man sie wie den Balken einer Wage bewegen kann, sowie die geweihte Stätten umschließenden Steinkreise finden sich vorzugsweise in den keltischen Ländern. Das bedeutendste der keltischen Heiligtümer in Frankreich liegt zu Carnac, bei Quiberon in der Bretagne, und bildet ein weites Feld, bedeckt mit gegen 4000 obeliskenartigen Steinpfeilern, welche zum Teil eine Höhe von ungefähr 10 m erreichen und meist auf ihrem dünnern Ende stehen. Ungleich merkwürdiger ist das vorzüglichste der alten Heiligtümer in England, das bei Stonehenge (s. d.), unfern Salisbury, befindliche, nach seinem ursprünglichen Namen „Choir Gaur“ (oder Côr Gawr), d. h. der große Kreis, genannt. Als Beispiele einer zweiten Entwickelungsstufe treten uns die auf verschiedenen Inseln des Großen Ozeans zwischen Asien und Amerika aufgefundenen einfachen Monumente entgegen, die mit

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 2. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885, Seite 481. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b2_s0481.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2022)