Seite:Meyers b19 s0699.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 19

lieferten vom 1. März 1890 bis 28. Febr. 1891 für 201,998 Pfd. Sterl. Steine. Die Ausfuhr von Wolle, Vieh und Getreide ist in stetem Wachsen, namentlich infolge des Aufschwunges der Goldfelder im Transvaal, ebenso die Einfuhr (ca. 800,000 Pfd. Sterl.). Die erste Eisenbahn von Colesberg über Norvals Pont am Oranjefluß nach Bloemfontein (200 km) wurde 1890 eröffnet. Der Volksrat beschloß, diese Bahn bis zum Vaalfluß im Anschluß an die Bahn Pretoria-Vaalfluß zu verlängern und eine Bahn von der Hauptlinie nach Bethulie zu erbauen zum Anschluß an eine von dort über Burghersdorp im Albertdistrikt der Kapkolonie nach East London laufende Linie. Im Bau ist die Linie Bloemfontein-Viljoemsdrift (700 km) und geplant eine Bahn von Bloemfontein nach Harrysmith, das schon jetzt über Ladysmith mit Port Durban in Natal Verbindung hat. Die Regierung der Kapkolonie hat es unternommen, die erstgenannten Linien zu bauen, wie sie auch schon die Linie bis Bloemfontein für 600,000 Pfd. Sterl. vollendet hat. Dem O. steht es frei, die Bahnen jederzeit zum Kostenpreis zu übernehmen. Von Staatstelegraphen stehen 2500 km im Betrieb, geplant sind 220 km. Das Budget für 1891/93 bezifferte die Einnahmen mit 469,992, die Ausgaben mit 406,275 Pfd. Sterl. Die Einnahmen fließen fast gänzlich aus indirekten Abgaben, doch bringt eine Kopfsteuer der Eingebornen jährlich 13–14,000 Pfd. Sterl. ein. Die öffentliche Schuld betrug 28. Febr. 1891: 70,000 Pfd. Sterl., verzinst mit 6 Proz. und rückzahlbar in 20 Jahren mit jährlich 5000 Pfd. Sterl. Das Staatsvermögen in Ländereien, Gebäuden etc. ist auf 800,000 Pfd. Sterl. veranschlagt. Außerdem ist ein Barbestand von 201,998 Pfd. Sterl. vorhanden. Seit 1. Juli 1890 ist der O. in einen Zollverein mit der Kapkolonie getreten; vom 1. März 1890 bis 28. Febr. 1891 betrugen die Zolleinnahmen 130,124 Pfd. Sterl.

Orientalistenkongreß. Der achte internationale O., der im September 1889 in Stockholm und Christiania stattfand, hatte den Sitz des nächsten Kongresses unbestimmt gelassen und nur einen Ausschuß, der aus den Präsidenten der drei vorhergehenden Kongresse und dem Generalsekretär des achten Kongresses bestand, mit den Vorbereitungen für den nächsten Kongreß betraut. Hieraus entstand ein Schisma, indem verschiedene von dem Verlauf des achten Kongresses unbefriedigte Orientalisten sich zusammenthaten und auf eigne Faust den neunten O. für September 1891 nach London einberiefen. Dort tagte auch wirklich Anfang September 1891 unter den Auspizien des Dr. Leitner, eines früher in Lahore in Indien im Dienste der englischen Regierung gewesenen, jetzt in London ein orientalisches College dirigierenden Orientalisten, ein O., der unter anderm den Beschluß faßte, einen weitern, den 10. O. in Spanien abzuhalten. Doch fanden die Einladungen zu diesem O., der in Sevilla und Cordova in Verbindung mit dem 400jährigen Columbus-Jubiläum abgehalten werden sollte, wenig Anklang und wurden daher seitens des spanischen Komitees wieder zurückgezogen. Allgemeinere Zustimmung fand dagegen der von den angesehensten Orientalisten Englands unter dem Präsidium des berühmten Sprachforschers Professor Max Müller in Oxford auf den September 1892 ausgeschriebene Kongreß, der auch von dem in Christiania gewählten Ausschuß als der wirkliche neunte O. anerkannt wurde. Den zum Teil von starker Erbitterung zeugenden Schriftwechsel über den O. veröffentlichte A. Weber in Berlin in der Broschüre „Quousque tandem. Der achte O. und der neunte?“ (Berl. 1891).

Orléans, Heinrich, Prinz von, s. Bonvalot.

Ornament (Pflanzen und Tiere im O., hierzu Tafel „Pflanzenornamente“[1]). Die allerältesten Kunsterzeugnisse der Völker verraten in ihrer Primitivität und Mannigfaltigkeit stets ein Anlehnen an gegebene Formen, ein spekulatives Belauschen und Beobachten der Natur, das auch da noch erkennbar ist, wo die Phantasie des schaffenden Geistes sich von einem sklavischen Nachgehen der Kontur, von einem schematischen Kopieren frei zu machen und etwas von der Natur abweichendes Höheres, Übersinnliches zur Darstellung zu bringen sucht.

Den reinsten unmittelbaren Ausfluß sinnlicher Anschauung und spekulativer Beobachtung repräsentiert unstreitig in allen ihren Zweigen die bildende Kunst der alten Ägypter, namentlich erhält die Architektur und Ornamentik, die teils rein naturalistisch, teils leise verhüllt die Haupttypen der ägyptischen Flora in voller Lebendigkeit widerspiegeln, ihr scharfes individuelles Gepräge. Schon die ältesten Kalksteingräber der Pyramiden von Gizeh und Sakkâra (2. und 3. Dynastie 4100–3700 v. Chr.) sind genaue Nachahmungen prähistorischer Holzbauten; sie stellen eine Lage von nebeneinanderliegenden Palmenstämmen dar, und der Künstler hat die natürliche Vorlage so sklavisch kopiert, daß an diesen steinernen Stämmen nicht einmal die eigentümliche Schuppenbildung der Rinde vergessen worden ist. In den Füllungen des obern Teiles der Fassaden dieser Gräber, ebenso auf den Stelen (Gedächtnissteinen) dieser Periode erscheint als erstes dekoratives Element das gestielte Lotosblatt (Nymphaea lotus und N. coerulea) in verschiedener, stark stilisierter Form, und zwar so, daß zwei mit ihren Stengeln gegeneinander geneigte Lotosblätter miteinander durch Bänder verbunden sind. An den Denkmälern aus der Zeit der 4. und 5. Dynastie (3700–3300 v. Chr.) erscheint unter dem Hohlkarnies der Wandfläche, oft auch Teile der Fassade einschließend, der Rundstab (s. Tafel I, Fig. 12), augenscheinlich nichts andres darstellend, als ein von schmalen bunten Bändern umflochtenes Rohrbündel (Arundo Donax).

Als hervorragendes architektonisches Glied im Holzbaustil des alten Reiches, an Tempelchen, Nischen, Altanen etc. erscheint die Säule, die an ihrem Kapitäl immer ein und dasselbe Pflanzenmotiv variiert: die Lotosknospe und die Lotosblüte. Dieselbe entstammt dem altägyptischen Brauch, an Festtagen die Säulen der Häuser, Tempel, Paläste etc. mit Lotusblumen zu umbinden und zu umwinden. An Stelle des natürlichen Blumenschmuckes trat später für die Holzsäulen ein ornamentaler, farbenreicher Schmuck aus Holz und gefügigem Metallblech. Die Pftanzensäule begegnet uns in einem charakteristischen Gepräge und in ihrer vollen Entfaltung im Steinbau des mittlern und neuen Reiches als Lotos- oder Papyrussäule. Bei der Lotossäule bilden offenbar vier oder auch mehrere lange, runde, nach oben zu sich verjüngende und unterhalb des Kapitäls mit fünf Bändern (Annuli) zu einem Bündel verbundene Lotusstengel das Motiv für den Säulenschaft, während das Kapitäl der geschlossenen, der im Aufbrechen begriffenen oder voll entfalteten Lotosblüte nachgeahmt worden ist (s. Taf. I, Fig. 7).


  1. Wenn im Artikel nicht ausdrücklich auf „beifolgende Tafel“ hingewiesen ist, beziehen sich die angegebenen Verweisungen auf die Tafeln „Ornamente I–IV“ im 12. Bande des Konv.-Lex.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 19. Bibliographisches Institut, Leipzig 1892, Seite 685. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b19_s0699.jpg&oldid=- (Version vom 4.5.2021)