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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 19

Kompression, die unheilvolle Wirkung gehabt habe. Der 10,000 kg schwere Kolben hat bei der riesigen Geschwindigkeit, in die er gleich nach dem Wellenbruch versetzt wurde, am Hubende ein aus abgesperrtem und komprimiertem Dampf gebildetes Kissen von solcher Elastizität, daß es die bewegte Masse genügend hätte verzögern, bez. sanft in die entgegengesetzte Bewegung überführen können, nicht vorgefunden, daher mußten bei dem Hubwechsel starke Stöße auftreten, die zunächst das Ausbrechen von Stücken des Kolbens nach sich zogen. Ein abfliegendes Bruchstück des Kolbens mag nun zwischen den noch an der Kolbenstange sitzenden Kolbenteil und den Cylinderdeckel geraten sein und so den Deckel herausgesprengt haben, wobei zugleich die Ständer zertrümmert wurden, so daß der Cylinder auf die Kurbelachse herabstürzte. Müller vermutet, daß die Ursache manches unaufgeklärten Schiffsunterganges, wie beim Arctio, Franklin, Humboldt, wahrscheinlich auf ähnliche Vorkommnisse an den Maschinen zurückzuführen sein dürften.

H. J. C. E. Lange in Hamburg ist bei der Beobachtung eines ähnlichen Unfalles bei einer großen Landdampfmaschine zu derselben Ansicht gekommen. Er berichtet darüber in derselben Zeitschrift 1891[WS 1] und gibt dadurch erneuten Anlaß zu Erklärungsversuchen für diese Vorkommnisse, welche bisher vollständig rätselhaft geblieben sind. Die von Lange beobachteten Vorkommnisse sind besonders dadurch merkwürdig, daß sich derselbe Unfall bei derselben Maschinenanlage (derjenigen der ersten Zentralanstalt der Hamburger städtischen Elektrizitätswerke) mehrmals wiederholten. Die Maschinenanlage bestand aus 4 Verbunddampfmaschinen mit Zentralkondensation, einer von 100 Pferdekräften und 375 mm, bez. 625 mm Cylinderdurchmesser, einer zweiten von 200 Pferdekräften und 500, bez. 850 mm Cylinderdurchmesser, sowie 2 Maschinen von je 400 Pferdekräften und 700, bez. 1200 mm Cylinderdurchmesser. Alle Maschinen hatten gleichen Hub (600 mm), gleiche Umdrehungszahl in der Minute (100) und waren als Hammermaschinen gebaut. Die Maschinen liefen nach einigen Änderungen am Schwungrad und Regulator derart, daß man der weitern Betriebsführung mit Ruhe entgegengehen zu können glaubte. Da trat plötzlich 5. Jan. 1890, nachmittags 1 Uhr 40 Min. der erste Bruch bei der 200pferdigen Maschine ein, 11/4 Stunde nachdem sie angelassen war und ruhig und ziemlich gleichmäßig gearbeitet hatte. Weder der Maschinenwärter, welcher zur Zeit des Bruches bei der Maschine stand, noch der ältere Aufsichtsmaschinist, welcher bis 2 Minuten vor dem Bruche die Maschine beobachtet hatte, noch der leitende Ingenieur hatten irgend eine Störung oder Unregelmäßigkeit wahrgenommen. Man hörte einen scharfklingenden Ton, wie wenn ein Stahlmeißel zerbricht, und gleich darauf einen donnerähnlichen Krach, sah auch noch den Deckel des Hochdruckcylinders sich heben, dann aber verhüllte austretender Dampf das Weitere. Es wurden nur noch verschiedene starke Schläge gehört, entsprechend dem Aufschlagen abgeschleuderter Eisenteile an Wänden und Fußboden, und dazwischen noch besonders heftige, allmählich sich verlangsamende Einzelschläge, welche die von der Kolbenstange abgerissene Bleuelstange des Hochdruckcylinders verursachte, die, von der Kurbel herumgeschleudert, wie ein Dreschflegel auf den gemauerten Fußboden und auf den Maschinenrahmen aufschlug, bis die Maschine nach dem schleunigen Absperren des Hauptdampfventils zur Ruhe kam. An dem Bleuelstangenkopf für den Kreuzkopfzapfen des Hochdruckcylinders waren

beide Deckelbolzen (Kreuzkopfbolzen) abgerissen. Der Kolben dieses Cylinders war zertrümmert, der obere Teil der Kolbenstange verbogen, die Kreuzkopflagerschalen waren zerbrochen. Die krumm gebogene Bleuelstange, an welcher die eine Gabelhälfte abgebrochen war, lag über dem Maschinenraum nach außen. Der untere Teil beider Geradführungsleisten war zerschlagen, ebenso das Geländer um die Maschine. In den Fußboden und dessen Lattenbelag vor der Maschine war von der Bleuelstange ein Loch geschlagen. Der mittlere, die Stopfbüchse tragende Teil des Cylinderdeckels war durchgeschlagen, wobei das abgerissene Stück von etwa 1 Ztr. Gewicht bis auf den Hausflur flog und unterwegs noch Wand und Thürbekleidung beschädigte. Außerdem lagen im Umkreise von 5 m Eisenbruchstücke zerstreut. Auch zeigten sich Zerstörungen an den elektrischen Apparaten. Die sofort vorgenommene Prüfung ergab, daß alle Lager kalt waren. Das Ereignis war eingetreten, während die Maschine nur mit etwa 15 Proz. ihrer normalen Leistung arbeitete und der Dampf von 6,5 Atmosphären auf 3 Atmosphären gedrosselt war. Die Verhandlungen über den Unfall führten zu der Annahme, daß der Bruch der Bleuelstangenkopfbolzen als unmittelbare Ursache des Ereignisses zu betrachten sei; daher übernahm der Fabrikant die Reparatur. Die Maschine konnte 9. April 1890 wieder dem Betrieb übergeben werden. Aber schon 13. April, abends 8 Uhr 57 Min., wiederholte sich fast genau der Vorfall vom Januar an derselben Maschine, nachdem sie 3 Stunden vorher angelassen worden war, bis dahin ganz befriedigend gearbeitet hatte und wiederum vorher keinerlei Unregelmäßigkeiten bemerkt waren. Der an der Maschine stehende Maschinist bemerkte zuerst den Bruch der Bolzen am Bleuelstangenkopf, dann das Aufschlagen der Bleuelstange und dann einen starken Krach oben an der Maschine. Diesmal war dem Bruch kein scharf klingender Ton vorausgegangen. Die Beschädigungen waren ähnlicher Art wie bei dem frühern Vorfall. Während man nun noch mit Untersuchungen und Beratungen darüber beschäftigt war, ob etwa Konstruktionsfehler und welche vorlägen, deren Beseitigung vor allem angestrebt werden müßte, trat 19. April, abends 10 Uhr 30 Min., eine Wiederholung des Unfalles an einer der 400pferdigen Dampfmaschinen, jedoch in viel größerm Umfange, ein. Der ganze Maschinensaal wurde wie mit Granatsplittern größter Gattung überschüttet. Wunderbar erscheint es nur, daß dabei kein Mensch ernstlich verletzt wurde. Wiederum war von dem gesamten Maschinenpersonal vorher nicht die geringste Unregelmäßigkeit oder Abweichung von dem normalen Gange bemerkt worden. Die Maschine war 6 Stunden lang mit etwa einem Drittel ihrer normalen Leistung befriedigend gegangen. Nach dem Protokoll ergaben sich folgende Zerstörungen: der Deckel des Hochdruckcylinders total zertrümmert, sämtliche Schrauben des Deckels abgerissen, Beschädigungen des Kolbens vor seiner Auseinandernahme nicht zu übersehen, Kolbenstangenfuß abgebrochen, Bleuelstange verbogen durch Aufschlagen auf das Fundament, beide Gleitbahnbacken abgeschlagen, beide Bleuelkopfstangenbolzen zerbrochen, Oberteil der Lagerschalen weggeschleudert, Unterteil verbeult, Kolbenstangenstopfbüchse und Ölfangvorrichtungen vollständig zertrümmert; außerdem Zerstörungen am Geländer, Maschinengestell, Dampfrohr etc. Sämtliche Brüche sind frisch. Nach Lange liegt die Folgerung nahe, daß, wenn ein ähnlicher Unfall bei einer größern, etwa 1000pferdigen oder noch stärkern Schiffsmaschine

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Beobachtungen über die Zerstörung von Hammermaschinen (Schiffsmaschinen). In: Zeitschrift des Vereines Deutscher Ingenieure, Bd. 35, S. 130–134 (mit Zeichnungen) Michigan
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 19. Bibliographisches Institut, Leipzig 1892, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b19_s0183.jpg&oldid=- (Version vom 13.2.2022)