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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 17

[Zum Artikel Handfeuerwaffen.]

Zur Tafel ‚Handfeuerwaffen IV‘: Das deutsche Gewehr M/88.
Geschichtliche Entwickelung.

Das kleine Kaliber von 7,9 mm, der Laufmantel, das Kastenmagazin, die zentrale Auffangung des Rückstoßes, die randlose Patrone mit rauchlosem Pulver und das Stahlmantelgeschoß sind die wesentlichen, aber bedeutsamen Unterschiede, welche das Gewehr M/88 von allen Waffen unterscheiden, die bisher im deutschen Heer sich im Gebrauch befanden. Die überraschende Einführung des Gewehrs M/71.84 gegen Ende des Jahrs 1886 und seine sofortige Ausgabe an die Truppen in großer Anzahl war wohl eine große politische That, durch welche die Gewehrfrage, bezüglich Annahme der Mehrladung zwar gefördert wurde, aber nicht entschieden werden konnte. Die der Einführung dieses Gewehrs vorangegangenen Versuche hatten sich auch auf Gewehre des für den Armeegebrauch zulässig kleinsten Kalibers erstreckt und die mit demselben verbundenen ballistischen Vorteile erkennen lassen, die in der großen Tragweite und bestreichenden Flugbahn des Geschosses eine eminent praktische Bedeutung haben; denn sie erweitern nicht nur den Wirkungsbereich der Waffe erheblich, sie vermehren auch die Zahl der Gelegenheits- oder Gefechtstreffer bei gezielten Schüssen, welche das Ziel fehlten. Aus den Versuchen wurde aber auch die Überzeugung gewonnen, daß der Übergang zum kleinsten Kaliber bis zur Herstellung eines verbesserten Pulvers vertagt werden müsse, da das bisherige Schwarzpulver im kleinkalibrigen Gewehr nicht genügte. 1886 war es in Frankreich gelungen, ein rauchloses Pulver herzustellen und die Einführung des sogen. Lebel-Gewehrs, das „fusil M/86“ von 8 mm Kaliber mit Vorderschaftmagazin (Fig. 1–4 der Tafel), zu ermöglichen. Wenn jenes Pulver auch den Erwartungen nicht entsprach, wurde es doch bald durch ein andres ersetzt, als dessen Hauptbestandteil Schießwolle angesehen wird. Aber auch in Deutschland war es den Hamburg-Rottweiler Pulverfabriken gelungen, ein verbessertes Pulver mit verminderter Raucherscheinung der Gewehrprüfungskommission in Spandau zur Verfügung zu stellen, wo 28. Okt. 1887 eine besondere Kommission zur Prüfung und Herrichtung eines kriegsbrauchbaren Gewehrs von 8 mm Kaliber zusammentrat. Am 20. Okt. 1888 wurde von ihr ein vollständig durchgeprobtes Gewehr von 7,9 mm Kaliber vorgelegt, dessen Einführung der Kaiser 6. Nov. 1888 als Gewehr M/88 für die Armee befahl. Erst nachträglich gelang es der Pulverfabrik zu Spandau, ein Pulver von nahezu vollständiger Rauchfreiheit herzustellen, welches dem Geschoß eine Anfangsgeschwindigkeit von 620 m gab, und das als Gewehr-Blättchenpulver zur Einführung kam.

Lauf und Laufmantel.

Der Lauf l (s. Fig. 7–9 der Tafel) aus Gußstahl hat ein Kaliber (zwischen den Feldern) von 7,9 mm und vier flache Züge mit einem Drall von 24 cm (30 Kaliber Länge). Er ist mit einem leeren Zwischenraum von etwa 2 mm von einem Stahlrohr, dem Laufmantel m, umschlossen, dessen Wandstärke 1,7 mm beträgt. Er wird vor der Verschlußhülse h durch eine Schraubenmuffe auf dem Lauf festgehalten, während er vorn in den Mundring g endigt, in welchem der Lauf bei seiner Längenausdehnung sich verschieben kann. Die Gewehrringe zur Befestigung im Schaft berühren daher nur den Laufmantel, so daß der Lauf beim Schießen ungehindert schwingen und sich nach allen Richtungen ausdehnen kann, eine Einrichtung, welche die Erhaltung der Treffsicherheit bezweckt. Außerdem schützt der Laufmantel den Lauf vor äußern Beschädigungen und erleichtert die Handhabung des heißgeschossenen Gewehrs, da der Zwischenraum die Übertragung der Wärme vom Lauf auf den Mantel verlangsamt.

Der Patronenrahmen und der Zubringer.

Der aus dünnem Stahlblech gepreßte Patronenrahmen p ist aus dem Kastenmagazin des Systems Lee hervorgegangen. Seine Seitenränder (in den Abbildungen oben und unten) sind nach innen umgebogen, so daß die Patronen hier nicht hindurch können, sondern sich nur in der Richtung der Geschosse herausziehen lassen. Der Rahmen findet Schutz in dem vor dem Abzugsbügel angebrachten Kasten k, in welchem der um ein Gelenk drehbare Zubringer z sich auf und nieder bewegt, gehoben durch den Druckbolzen d mit Feder. Befindet sich kein Patronenrahmen im Gewehr, so schließt der Zubringer die Öffnung im Boden der Verschlußhülse, der aber beim Einsetzen eines gefüllten Patronenrahmens nach unten gedrückt wird. Das Hochheben des letztern durch den Zubringer verhindert der Rahmenhalter f.

Das Schloß.

Das Schloß (Fig. 8—10) gleicht im allgemeinen demjenigen des Gewehrs M/71 und unterscheidet sich von demjenigen M/71.84 durch das Fehlen der Repetiervorrichtung, welche durch den Zubringer z mit Druckbolzen ersetzt ist. Was ihn wesentlich vom Verschluß M/71 unterscheidet, ist die zentrale Auffangung des Rückstoßes. Zu diesem Zweck hat die Kammer a vorn diametral gegenüberstehende Nasen e, welche sich beim Rechtsdrehen der Kammer in die ringförmige Ausdrehung n der Verschlußhülse h legen und hier das Widerlager für den Rückstoß finden. Es ist demnach kein Geradezugverschluß wie der österreichische, nähert sich vielmehr dem französischen, nur daß bei letzterm die Nasen am Verschlußkopf sitzen. Letzterer v hat beim deutschen Gewehr eine tiefe Ausdrehung für die randlose Patrone, an der rechten Seite eine Längsnute für den Auszieher u und an der linken Seite eine Rinne für den Auswerfer w. Bei unsern bisherigen Gewehren wurde die Kammer zum Schließen rechts gedreht, hierbei legt sich die Kammerhandhabe in einen Ausschnitt der rechten Verschlußhülsenwand, welche demnach den ganzen Rückstoß auffängt. Mit der Länge des Hebelarmes von der Laufachse bis zum Widerlagerpunkt im Hülsenausschnitt wirkt der Rückstoß daher drehend auf die Waffe, woraus Nachteile für die Treffsicherheit und deren Erhaltung erwachsen, auf deren Beseitigung von Fachmännern großer Wert gelegt wird. Wenn diese Nachteile beim österreichischen Gewehr durch die Verlegung nach unten auch gemindert wurden, so sind sie doch nicht ganz beseitigt. Die Vereinigung der zentralen Rückstoßanffangung mit dem Geradezugverschluß ist einstweilen noch der Zukunft vorbehalten. Das der Société anonyme manufacture liégeoise d’armes à feu in Lüttich im Deutschen Reich unter Nr. 49,528 und 49,875 patentierte Gewehr mit Geradezugverschluß, bei welchem durch Vor- und Rückwärtsdrehung der Kammerhandhabe beim Schließen und Öffnen um etwa 45° zu beiden Seiten der Welle, um welche sich die Handhabe dabei dreht, sitzende Scheiben aus ihrem Lager heben oder in dasselbe legen, wodurch das Widerlager zu beiden Seiten der Laufachse, also eine zentrale Rückstoßauffangung gewonnen wird, ist für Kriegszwecke nicht geeignet. Bemerkenswert ist an demselben, daß das Schloß keine Schraube und keine Spiralfeder, nur winkelförmige Blattfedern, auch für den Schlagbolzen, hat. Das Spannen des Schlagbolzens geschieht wie beim Gewehr M/71, auch das Schlößchen s mit der Nase r, welche hinter die Abzugsfederstellen greift, gleicht demselben.

Gang des Verschlusses von Schuß zu Schuß.

In das geöffnete Gewehr wird ein mit 5 Patronen gefüllter Patronenrahmen unter Herunterdrücken des Zubringers von oben eingesetzt, bis der Rahmenhalter f

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 17. Bibliographisches Institut, Leipzig 1890, Seite 420b. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b17_s0420b.jpg&oldid=- (Version vom 3.6.2022)