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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 17

und Konvektionsströmungen beeinflußt werden. Manche Unregelmäßigkeiten der geothermischen Tiefenstufe finden hierdurch ihre Erklärung, andre sind auf verschiedene thermische Leitungsfähigkeit des betreffenden Gesteins zurückzuführen. Den Unterschied zwischen der Leitungsfähigkeit von metamorphischen und paläozoischen Gesteinen, in denen die Bergwerke meistens liegen, und derjenigen von Kreide-, Jura- und Triasschichten, in welche artesische Brunnen gewöhnlich eingelassen sind, zeigt folgende Tabelle:

  mittlere thermometr. Leitungsfähigkeit
1) Kohlenbergwerke (Karbonschichten) 0,00433
2) Erzbergwerke (metamorphische und kristallinische Gesteine) 0,00473
3) Artesische Brunnen (mesozoische und tertiäre Schichten) 0,80300

Die Leitungsfähigkeit ist ferner für dasselbe Gestein je nach dem Grade der Imbibition eine verschiedene:

  trocken feucht
Sandstein 0,00250 0,00600
Quarzsand 0,00105 0,00820
Thon 0,00250 0,00350
Mittel: 0,00202 0,00590

Nimmt man für die genannten drei Klassen das Mittel aus allen Beobachtungen, so erhält man folgende Werte für den entsprechenden thermometrischen Gradienten auf 1° C.:

Kohlenbergwerke 27,5 m
Erzbergwerke 23,6
Artesische Brunnen 28,1

Das Mittel aus diesen drei Gruppen gibt als allgemeinen thermometrischen Gradienten 26,4 m auf 1° C. Diese geothermische Tiefenstufe ist aber jedenfalls nur innerhalb eines sehr kleinen Teils der Erdrinde als zutreffend anzunehmen. Die von den Vulkanen ausgeworfenen Laven beweisen zwar, daß die Temperatur bis zum Schmelzpunkt der Gesteine steigt; aus dem zähflüssigen Zustand, in dem sie an die Oberfläche gelangen, kann man aber noch keinen Schluß auf die Beschaffenheit des Magmas bei einem viel größern Druck und höherer Temperatur ziehen. Über den Zustand des Erdinnern kann man daher nur auf indirektem Weg sich Aufschluß verschaffen. Unsre Kenntnis der mittlern Dichte der E. gestattet zunächst einen sichern Schluß auf die Massenverteilung im Innern derselben. Die mittlere Erddichte ist zu 5,6 berechnet worden, während das spezifische Gewicht derjenigen Gesteine, aus welchen sich die äußere Rinde zusammensetzt, zwischen 2,5 und 2,7 schwankt. Aus diesen Thatsachen muß gefolgert werden, daß die E. in ihrem Innern eine bedeutend größere Dichte besitzt als an der uns zugänglichen Oberfläche, und es liegt nahe, anzunehmen, daß die Dichte des innern Erdkörpers von der Oberfläche nach innen bis zum Zentrum mit dem wachsenden Druck der darüberliegenden Massen stetig zunehme. Die wichtigste Frage ist nun, welchen Aggregatzustand die E. in ihrem Innern besitzt. Hopkins meinte seiner Zeit, aus den Präzessionserscheinungen schließen zu müssen, daß die Dicke der absolut starren Rinde mindestens 1/5 bei 1/4 des Erdradius betrage, da ein flüssiges Erdinnere eine andre Präzession zeigen müsse als ein festes und seiner festen Kruste auch eine andre Präzessionsbewegung mitteilen würde. Indessen ist nachgewiesen worden, daß die Präzession in keinem Fall sich ändern würde, wohl aber die Nutation, d. h. jene kleinen Oszillationen, welche der Erdpol auf seinem Kreislauf um den Pol der Ekliptik ausführt, einen andern Wert haben würde, falls die Erdkruste absolut starr wäre. Selbst wenn die E. als starrer Körper betrachtet wird, ergibt sich der Wert von fast einer Bogensekunde, bei flüssigem Erdinnern würde derselbe größer ausfallen.

Die durch sorgfältige Beobachtungen gemachte Entdeckung einer täglichen Nutation ist für die Frage nach dem Aggregatzustand des Erdinnern nun von höchster Bedeutung. Die Flüssigkeit des Erdinnern wäre damit bewiesen, und die Erdrinde dürfte nicht als starr, sondern müßte wie eine elastische Haut betrachtet werden, welche von dem flüssigen Erdkern getragen wird und alle Deformationen, denen dieser unterworfen ist, mitmacht. Zu demselben Ergebnis gelangt man auch noch auf einem andern Weg, durch Beobachtung derjenigen Erscheinungen, welche durch die anziehende Kraft von Sonne und Mond hervorgerufen werden. Wäre die Erdmasse flüssig, so würden Ebbe und Flut eines die Kruste ganz bedeckenden Ozeans vollkommen unbemerkbar sein, da Rinde und Ozean sich gleichzeitig auf und ab bewegen würden; gibt der Meeresboden der Anziehungskraft der Gestirne nicht nach, so muß das Erdinnere starrer als Glas oder Stahl sein; ist endlich die E. eine fast homogene elastische Masse, so würde für einen Beobachter am Strande, der sich mit seiner Unterlage hebt und senkt, die Differenz zwischen Hoch- und Niedrigwasser geringer erscheinen, als wenn er auf einem starren Erdboden stände, er würde also nur die relative Bewegung des Meers, d. h. Differentialfluten, wahrnehmen. Die Amplitude und Epoche der Gezeiten wird nun aber durch die Küstengestaltung wesentlich modifiziert. Ein solcher Einfluß der Gestalt der Meeresbecken macht sich am stärksten bei den kurzperiodischen Fluten bemerkbar. Die 14tägige Mondflutwelle und die halbjährige Sonnendeklinationsflut haben aber länger Zeit zu ihrer Ausbildung, so daß die zeitliche Verzögerung sowie die Höhendifferenz nur kleine Bruchteile der ganzen Periode, bez. der ganzen Fluthöhe sein können. Falls also die Voraussetzung, daß die Erdkugel eine starre ist, thatsächlich erfüllt wäre, müßte man Gezeiten von langer Periode beobachten, zumal die halbmonatliche Ungleichheit so bedeutend ist, daß, wenn sie vorhanden wäre, dieselbe der Beobachtung nicht entgehen könnte. Nun ist es auffallend, daß Fluten von langer Periode sich noch nirgends mit Bestimmtheit haben nachweisen lassen. Das Ausbleiben derartiger Fluten ist nur durch die Annahme erklärlich, daß der Meeresboden an der Auf- und Abwärtsbewegung des Ozeans teilnimmt, daß also die E. körperliche Gezeiten besitzt. Die überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht also dafür, daß die E. ihrem weitaus größten Teil nach nicht starr ist, sondern nur eine feste Rinde besitzt, der aber noch eine gewisse Elastizität eigen ist. Für die Hauptmasse der E. ist aber weder ein fester noch ein flüssiger Zustand anzunehmen, sondern man wird sich dieselbe als in gasähnlichem Zustand befindlich vorstellen müssen. Darauf führt vor allem die kosmogonische Hypothese, die Nebularhypothese, nach welcher die E. wie alle Himmelskörper aus dem Zustand eines äußerst verdünnten Gases durch allmähliche Verdichtung in den heutigen übergegangen ist. Die Beziehungen, welche für gasförmige Körper zwischen Dichte, Druck und Temperatur bestehen, lehrt das Gesetz von Mariotte und Gay-Lussac, wenn es auch in anbetracht der hohen Temperaturgrade, die in der gasförmigen Erdkugel herrschten, nur als annähernd nchtig bezeichnet werden darf. Eine solche Gaskugel befindet sich im Zustand indifferenten Gleichgewichts, d. h.

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 17. Bibliographisches Institut, Leipzig 1890, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b17_s0308.jpg&oldid=- (Version vom 14.4.2022)