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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 17

vielen Skulpturen und Inschriften von Milchhöfer entdeckt und durch die Amerikaner ausgegraben, in Thorikos wurde ein zweites Theatergebäude ebenfalls von den Amerikanern aufgedeckt; auf Kap Sunion wurde der bekannte, weit hinaus ins Meer leuchtende Athenetempel neu untersucht; es zeigte sich, daß ursprünglich ein Tempel aus Poros dagestanden hatte, der aber in der Zeit nach den Perserkriegen (ca. 400) in einen Marmortempel umgebaut worden ist; der Neubau hatte nicht 12, wie man bisher annahm, sondern 13 Säulen an den Langseiten. Im benachbarten Böotien wurde das Heiligtum des ploischen Apollon bei dem Dorf Karditza von den Franzosen ausgegraben und dabei eine große Anzahl von altertümlichen Skulpturen, Bronzen, Inschriften und Vasenscherben gefunden. Bei Theben wurde 1887 das Heiligtum der Kabiren vom Deutschen Institut ausgegraben. Der nach O. gerichtete Tempel zeigte die Spuren mehrfachen Umbaues. In der letzten Zeit bestand er aus einem Pronaos, einer Cella, in der das Bathron des Gottes erhalten ist, und einem dahinterliegenden, von N. und S. zugänglichen Gemach mit einer doppelten Opfergrube; die eine Hälfte war noch ganz mit Knochen gefüllt. Steininschriften und Marmorskulpturen wurden nur in beschränkter Anzahl gefunden, sehr reich dagegen waren die Funde an Werken der Kleinkunst. Dieselben entstammen einer gleichmäßig innerhalb und außerhalb des Tempels abgelagerten alten Schutt- und Aschenschicht, welche von einer Zerstörung des Heiligtums herzurühren scheint. Die Funde sind nicht jünger als das 4. Jahrh., die meisten entstammen diesem und dem vorhergehenden. Von den mehreren tausend bemalter Vasenscherben sind die meisten mit Weinlaub und Epheu, schwarz auf gelblichem Grund, verziert, die figürlichen Darstellungen ebenfalls schwarz auf gelblichem Grund, aber jünger als die gewöhnlichen schwarzfigurigen Vasen, zeigen eine Vorliebe für groteske und komische Darstellungen und beweisen, daß der Kult der Kabiren dem bacchischen verwandt war. Die vielen Tausende von Terrakotten verteilen sich ungefähr gleichmäßig auf Darstellungen von Menschen und Tieren; letztere, Stiere, Schweine, Widder und Böcke, auch Löwen, sind meist von geringem Kunstwert. Erstere zeigen zum Teil die gewöhnlichen böotischen Typen älterer Art, zum Teil in vorzüglichen Exemplaren; vom Stil der feinen tanagräischen Figuren wurde nichts gefunden. Zahlreich sind kleine Anatheme aus Bronze und Blei, von denen mehrere hundert Stiere darstellen. Ein Diskuswerfer von Bronze ist die einzige menschliche Figur darunter. Die größte Anzahl der Bronzetiere, deren durchschnittliche Größe 7 cm beträgt, ist von vorzüglicher Ausführung und Erhaltung und entstammt wohl der ersten Hälfte des 5. Jahrh. Auch von ihnen zeigen viele Weihinschriften, vor allen an den Kabiren (immer im Singular) und seinem Sohn (παῐς). Eine inschriftlich gesicherte Darstellung findet sich auf einer großen Vasenscherbe. In Oropus, dem Heiligtum des Amphiaraus, gruben die Griechen 1886 das Theater und eine anstoßende gedeckte Halle auf. Die Orchestra ist kreisrund, die Proszeniumswand läßt sich völlig wieder rekonstruieren. Das oben erwähnte Theater von Epidaurus und das von Oropus werden noch in der Geschichte des griechischen Theaterbaues, welche Dörpfeld plant, als Zeugen der ursprünglich griechischen Anlage eine Rolle spielen. Ungehobene Schätze ruhen noch in Delphi, dessen Ausgrabung wohl an Wichtigkeit der von Olympia gleichkommen kann. Sie ist längst von Frankreich ins Auge gefaßt, doch sind die Unterhandlungen mit den Griechen bisher gescheitert. Am Nordabhang des Parnaß ist das Musenheiligtum von den Franzosen untersucht worden.

Auf den Inseln wurde 1884 in Kreta eine lange, außerordentlich wichtige archaische Inschrift von Fabricius entdeckt; sie enthält ein eingehendes Erbrecht und Heiratsrecht von Gortyn und hat schon eine reiche Litteratur hervorgerufen. Zahlreiche andre alte Inschriften wurden vom Italiener Halbherr später veröffentlicht. Im Idagebirge, ungefähr in der Mitte der Insel, ist auf der Hochebene 1885 die idäische Zeusgrotte gefunden worden, die Stätte, wo Zeus als Kind von Nymphen und Kureten gepflegt und behütet worden sein soll. Zahlreiche hochaltertümliche Weihgeschenke wurden dabei entdeckt. Auf Delos graben die Franzosen schon mehrere Jahre und geben in ihrem „Bulletin de correspondance hellénique“ jeweilige Rechenschaft. Ungemein zahlreich sind die gefundenen Inschriften, sehr bedeutend aber auch die Funde hochaltertümlicher Statuen chiotischer Kunst; besonders wichtig ist die geflügelte Nike, welche eine höchst wahrscheinlich zugehörige Inschrift dem Mikkiades und Archermos zuweist. Unter den spätern Skulpturen ragt als Prachtstück ein jetzt in Athen befindlicher Krieger etwa pergamenischer Zeit hervor. Auf Samos wurde ein Werk der Alten aufgedeckt, welches auch wohl den heute Lebenden wieder zu gute kommen wird. Herodot erzählt in Ausdrücken der höchsten Bewunderung von einem Tunnel von 7 Stadien Länge, welcher eine Wasserleitung durch einen hohen Berg nach der Stadt hinführe. Dieser Bau des Architekten Eupalinos, zur Zeit des Polykrates, ist aufgefunden worden und dient vielleicht nach einigen Reinigungsarbeiten schon jetzt wieder seinem alten Zweck. Besonders merkwürdig war die Beobachtung, daß die Arbeiten gleichzeitig von beiden Enden aus begonnen worden sind und in der Mitte des Bergs nach kurzem Verfehlen sich getroffen haben. Genau untersucht hat den Bau im Auftrag des Deutschen Archäologischen Instituts Fabricius. Vom Quellhaus bis zum Eingang des Tunnels sind 835 m Röhrenleitung, der Tunnel selbst ist etwas über 1000 m, in gerader Linie führend, lang.

Ausgrabungen in Italien.

In Italien ist die Kultur im ganzen eine jüngere als in Griechenland, also können weit hinaufreichende Funde nicht gemacht werden. Fort und fort wird systematisch an den längst bekannten Fundstätten gegraben und gefunden; in Pompeji, in Etrurien (Toscana), in Ostia, namentlich aber in Rom. Hier fördern die Grundgrabungen für neue Stadtviertel, die Uferbauten zur Regelung des Tiber alljährlich Inschriften, Statuen, Ruinen zu Tage; unter anderm sind in den letzten Jahren zwei völlig intakte überlebensgroße Bronzestatuen gefunden worden; da Bronzedenkmäler sehr selten sich erhalten haben, so ist der Fund doppelt wichtig. Bedeutend sind namentlich die Resultate für die Topographie von Rom; wir erwähnen nur den einen Umstand, daß in der Zeit des Augustus eine von Agrippa erbaute Brücke das Marsfeld mit dem heutigen Trastevere verband. Sie ist später abgetragen und etwas stromabwärts durch den bekannten Ponte Sisto ersetzt worden. Bieten uns also die Ausgrabungen in Griechenland gerade heute völlig neue Perspektiven in die älteste Geschichte Europas, so liefern die Ausgrabungen in Italien zumeist nur Ergänzungen zu bekannten Dingen. Vgl. O. Richter, Topographie von Rom (Nördl. 1889).

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 17. Bibliographisches Institut, Leipzig 1890, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b17_s0077.jpg&oldid=- (Version vom 6.8.2022)