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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 16

die Abfassung von Gesetzbüchern für alle diejenigen zum fränkischen Reiche gehörenden Stämme befahl, welche noch keine geschriebenen Rechte besaßen, verdanken wohl ihre Entstehung die Lex Frisionum (s. Friesisches Recht), obwohl diese mehr den Charakter einer Privatkompilation trägt und daher wohl als eine bloße Vorarbeit anzusehen ist, ferner die sogen. Ewa Chamavorum (Ausgabe von Sohm in den „Monumenta Germaniae“, Leges V), d. h. das Rechtsbuch der am Niederrhein und an der Yssel wohnenden chamavischen Franken, endlich die vielleicht auf dem Reichstag zu Aachen 802 sanktionierte Lex Saxonum (Ausgabe von Richthofen in den „Monumenta Germaniae“, Leges V; Derselbe, Zur Lex Saxonum, Berl. 1868) und die aus derselben Zeit stammende Lex Angliorum et Werinorum (Ausgabe von Richthofen a. a. O.), d. h. das Gesetzbuch der im Gebiet der Unstrut wohnhaften Angeln und der zwischen Saale und Elster wohnenden Warnen. Außerhalb dieses historischen Zusammenhangs steht die älteste Aufzeichnung des langobardischen Rechts, das 643 von König Rotheri erlassene Edictum Langobardorum (s. Langobardisches Recht); doch zeigt dieses manche aus den frühern Sitzen der Langobarden an der Niederelbe erklärliche Übereinstimmung mit der Lex Saxonum und mit den Rechten der Angelsachsen, daneben auch eine gewisse noch nicht aufgeklärte Verwandtschaft mit den skandinavischen Rechten. Nicht eigentlich zu den Leges barbarorum gehören die ostgotischen, von Theoderich d. Gr. zwischen 511 und 515 und dessen Enkel Athalarich erlassenen Edikte, da dieselben sowohl für Goten als für Römer Geltung hatten. Über die angelsächsischen Gesetze, welche außerhalb dieser Entwickelung stehen und die einzigen Rechtsdenkmäler der Deutschen älterer Zeit in deutscher Sprache sind, auch rein deutsches Recht frei von allen Einflüssen des römischen Rechts enthalten, vgl. den Artikel Angelsachsen. Wie die Geltung des westgotischen Gesetzbuchs das Bestehen des westgotischen Reichs überdauerte und die Lex Burgundionum auch durch die Einverleibung Burgunds in die fränkische Monarchie nicht aufgehoben wurde, so blieben die im fränkischen Reich für die einzelnen Stämme entstandenen Rechte auch nach Auflösung des fränkischen Reichsverbandes als persönliche Rechte dieser Volksgenossen fortbestehen. Erst das sich mehr und mehr entwickelnde Lehnswesen und die sich ändernden ständischen Verhältnisse wirkten der Geltung der Volksrechte entgegen. An Stelle des Personalitätsprinzips (s. oben) entwickelte sich mehr und mehr das Territorialitätsprinzip. Vom Ende des 9. bis zum 15. Jahrh. treten an Stelle der Volksrechte die Land- und Lehnrechte.

Im Gegensatz zu diesen Volksrechten der südgermanischen Völker zeigten die der Nordgermanen eine durch keine Einflüsse fremder Kultur bestimmte Entwickelung. Ihre schriftliche Aufzeichnung ist in verhältnismäßig später Zeit erfolgt: für Norwegen führt die Überlieferung auf das 9. Jahrh. als Anfangspunkt der Zeit geschriebener Rechtsquellen, für Island auf das 10., für Schweden und Dänemark erst auf das 13. Jahrh. Aber wegen der nationalen Unabhängigkeit der nordischen Rechtsquellen bilden die aus ihnen zu ziehenden Rückschlüsse eins der wichtigsten wissenschaftlichen Hilfsmittel zur Erforschung der ältesten deutschen Rechtsgeschichte.

Volksrepräsentanten, s. Volksvertretung.

Volksschriften, im allgemeinen solche Bücher, welche die Belehrung und Unterhaltung der bildungsbedürftigen niedern Volksschichten zum Zweck haben. Die Anfänge dieser Litteratur finden sich bereits im 15. und 16. Jahrh. in den Volksbüchern (s. d.), in Flugschriften und fliegenden Blättern. Ihre eigentliche Blüte begann gegen Ende des 18. Jahrh., als gleichzeitig mit dem pädagogischen Philanthropismus das Bewußtsein zur Herrschaft gelangte, daß die geistige Bildung und sittliche Hebung der niedern Klassen über die Schule hinaus nicht bloß Sache der Kirche, sondern eine der wichtigsten Pflichten der gebildeten Gesellschaft überhaupt sei. Dieser Pflicht suchte man teils unmittelbar durch Belehrung über die Ergebnisse der Wissenschaft (Popularisierung der Wissenschaft), teils mittelbar durch anregende Unterhaltung zu genügen. Die Schriften der erstern Richtung, obgleich unter den Begriff der V. fallend, entziehen sich der zusammenfassenden Beurteilung, indem sie sich mehr an die einzelnen Wissenschaften anlehnen, deren Ausbreitung sie anstreben. Am fleißigsten und glücklichsten ist und wird in dieser Art das Gebiet der Naturwissenschaften angebaut (Roßmäßler, Bernstein, Grube, Brehm u. a.). Im engern Sinn versteht man unter V. solche Bücher, welche den breitern Schriften des Volkes gesunde geistige Nahrung in der Form erheiternder, aufklärender und sittlich hebender Unterhaltung bieten, mögen diese nun als einzelne Erzählungen u. dgl. oder als Zeitschriften und Sammelwerke auftreten. Als Urbild derartiger V. ist im Gebiet der deutschen Sprache Pestalozzis „Lienhard und Gertrud“ (1781) zu betrachten. Unter den Zeitgenossen und ersten Nachfolgern Pestalozzis ragen Salzmann und R. Z. Becker („Not- und Hilfsbüchlein“) hervor. Als andre Meister der volkstümlichen Unterhaltung sind vor allen J. P. Hebel („Schatzkästlein“), Zschokke, Jerem. Gotthelf (Bitzius), Berth. Auerbach, Schaumberger, Ferd. Schmidt u. a. zu nennen. Eine beliebte Form, dem Volk gute Lektüre darzubieten, ist, namentlich nach Andrés und Hebels Vorgang im Anfang des 19. Jahrh., die der Volkskalender geworden (vgl. Kalender, S. 385). An die Stelle der Aufklärungstendenz schob sich in den V. unsers Jahrhunderts mehr und mehr die christlich-religiöse; sie tritt besonders in den Schriften von G. H. v. Schubert, Caspari, Ahlfeld, Stöber, Horn, Glaubrecht (Öser), E. Frommel u. a. in den Vordergrund. Unter den katholischen Verfassern sind L. Aurbacher, Alban Stolz, Herchenbach, Kolping, Konrad v. Bolanden (Bischoff) zu nennen. Der Verbreitung guter und billiger V. dienen außer den Volksbibliotheken besondere Volksschriftenvereine, welche durch Aussetzung von Preisen die Abfassung guter V. fördern helfen oder gegen bestimmten Jahresbeitrag V. und ganze Volksbibliotheken abliefern. Solche Vereine sind: der Zwickauer Verein zur Verbreitung guter und wohlfeiler V. (seit 1841), der Württemberger Volksschriftenverein (seit 1843), der Zschokke-Verein zu Magdeburg (seit 1844), der Norddeutsche Volksschriftenverein in Berlin, der Nordwestdeutsche Volksschriftenverlag in Bremen, die Niedersächsische Gesellschaft zur Verbreitung christlicher Schriften in Hamburg, der Österreichische Volksschriftenverein in Wien (1848), der Deutsche Verein zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse in Prag (1869), der Verein zur Förderung des Volkswohls in Berlin u. a. Vgl. Auerbach, Schrift und Volk (Leipz. 1846); Bernhardi, Wegweiser durch die deutschen Volks- und Jugendschriften (das. 1852, Nachtrag 1854); Jannasch, Die Volksbibliotheken, ihre Aufgabe und Organisation (Berl. 1876); „Musterkatalog für Volksbibliotheken“ (1882 u. ö., hrsg. vom Gemeinnützigen Verein zu Dresden). S. auch Jugendschriften u. Bildungsvereine.

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 16. Bibliographisches Institut, Leipzig 1890, Seite 269. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b16_s0269.jpg&oldid=- (Version vom 19.10.2021)