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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 13

Bildebene einen Winkel von 45° einschließen, liegt der Verschwindungspunkt auf dem Umfang eines Kreises, des Distanzkreises, dessen Mittelpunkt der Hauptpunkt und dessen Halbmesser der Entfernung des Zentrums von der Bildebene gleich ist. Dagegen fällt für Gerade, welche mit der Bildebene parallel laufen, der Verschwindungspunkt in unendliche Ferne; ihre Projektionen laufen dann ebenfalls mit ihnen und also auch unter sich parallel. Mit Benutzung dieser Sätze lassen sich perspektivische Abbildungen leicht herstellen. Solche Abbildungen geben eine anschauliche Vorstellung von den Gegenständen und eignen sich daher für künstlerische Zwecke; sie haben aber den Nachteil, daß man die Dimensionen und Winkel nur sehr umständlich aus ihnen ersehen kann. Dieser Übelstand ist nicht vorhanden bei der Parallelprojektion, die man erhält, wenn man das Projektionszentrum in unendliche Ferne rückt, so daß die Projektionsstrahlen alle parallel gehen. Die zwei ersten der beiden obigen Sätze bleiben dann auch noch in Gültigkeit; statt des dritten hat man aber die beiden Regeln: die Projektionen von parallelen Geraden sind stets wieder parallel, und das Verhältnis zwischen zwei Abschnitten, die auf einer und derselben oder auf parallelen Geraden liegen, wird durch die Parallelprojektion nicht geändert. Man unterscheidet zwei Unterarten der Parallelprojektion: die schiefe (klinographische), bei welcher die Projektionsstrahlen einen schiefen Winkel mit der Bildebene einschließen, und die rechtwinkelige (orthogonale, orthographische) Parallelprojektion, bei welcher die Projektionsstrahlen senkrecht auf der Bildebene stehen. Als Beispiel der schiefen Parallelprojektion kann jeder durch die Sonnenstrahlen verursachte Schatten dienen; sie findet heutzutage nur noch selten Verwendung, während früher einzelne Arten derselben, wie die sogen. Militär- oder Kavalierperspektive (Neigungswinkel = 45°), zu besondern Zwecken benutzt wurden. Dagegen findet die rechtwinkelige Parallelprojektion allgemein zur Darstellung von Maschinen, Bauwerken etc. Anwendung. Gewöhnlich projiziert man dabei die Objekte auf zwei Ebenen, eine horizontale (α, Fig. 2) und eine vertikale (β), von denen die letztere von dem Zeichner stehend gedacht wird. Die Projektionen auf diese zwei Ebenen unterscheidet

Fig. 2.

man als horizontale P. od. Grundriß und vertikale P. oder Aufriß; durch beide ist das räumliche Objekt vollständig bestimmt. In Fig. 2 ist die P. einer geraden Linie PQ versinnlicht; PP′ u. QQ′ sind die auf die horizontale Ebene α, PP″ u. QQ″ die auf die vertikale Ebene β gefällten Perpendikel, welche von den Endpunkten der Geraden PQ ausgehen; P′ u. Q′ sind die horizontalen, P″ u. Q″ die vertikalen Projektionen von P und Q, P′Q′ ist daher die horizontale, P″Q″ die vertikale P. von PQ. Legt man noch durch P und Q Ebenen, welche, senkrecht auf der Schnittlinie der Projektionsebenen, auf dem sogen. Grundschnitt AB stehen und denselben in M und N schneiden, so geben die in der horizontalen Ebene liegenden Geraden MP′ und NQ′ (beide senkrecht auf AB) die Abstände P″P und Q″Q der Punkte P und Q von der vertikalen Projektionsebene an, während MP″ und NQ″ (gleich P′P und Q′Q) die Höhen über der horizontalen Ebene angeben. Da man nicht wohl auf zwei senkrecht aufeinander stehenden Zeichenebenen arbeiten kann, so denkt man sich beide in eine einzige Ebene umgeklappt; so daß der Grundschnitt von links nach rechts läuft (Fig. 3) und die obere Hälfte der Zeichenebene

Fig. 3.

die (obere) vertikale, die untere Hälfte aber die (vordere) horizontale Projektionsebene darstellt. Bemerkt werden mag noch, daß die Länge der P. einer Linie, wie P′Q′ oder P″Q″ (Fig. 3), gleich ist der Länge der Linie selbst, multipliziert mit dem Kosinus ihres Neigungswinkels gegen die Projektionsebene. Die P. ist also im allgemeinen stets kürzer als die Gerade selbst; nur wenn letztere mit der Bildebene parallel läuft, ist die P. ebenso lang. Aus Grund- und Aufriß lassen sich mit leichter Mühe alle Dimensionen und Winkel des dargestellten Objekts abnehmen, auch lassen sich bequem räumliche Konstruktionen durch solche in den Projektionsebenen ersetzen. Derartige Regeln waren schon seit langer Zeit bei Zimmerleuten und andern Handwerkern im Gebrauch; dieselben gesammelt, systematisch geordnet und zu einer neuen Wissenschaft, der darstellenden (deskriptiven) Geometrie, verarbeitet zu haben, ist das Verdienst von Gaspard Monge (s. d.). Häufig nimmt man zu den zwei betrachteten Projektionen noch eine dritte zu Hilfe, nämlich eine zweite vertikale P. auf eine zum Grundschnitt senkrechte Ebene (in Fig. 2 durch ihre

Fig. 4.

Durchschnitte AC u. AD mit α und β angedeutet); man bezeichnet diese P. als Querriß (Kreuzriß) oder Seitenansicht und kann sie aus Grund- und Aufriß entwickeln, wie in Fig. 4 angedeutet ist, wo man die Projektionsebene CAD um AD gedreht und auf C1AB gelegt hat. Die orthogonalen Projektionen auf zwei (oder auch drei) aufeinander senkrechte Ebenen genügen indes zwar den Ansprüchen des Technikers in vorzüglichem Grad, gewähren aber kein anschauliches Bild; vielmehr muß derjenige, welcher Grund- und Aufriß eines Objekts vor sich hat, erst aus diesen beiden sich im Geist ein Bild zusammenstellen. Allerdings zeigt eine jede orthogonale P. den Gegenstand so, wie er, aus großer (eigentlich unendlicher) Ferne betrachtet, erscheint. Beim Grundriß muß man sich dann das Auge weit über dem Objekt denken, ein ungewöhnlicher Standpunkt. Beim Aufriß aber, wo das Auge in weiter Ferne vor dem Objekt zu denken ist, hat zwar der Standpunkt nichts Ungewöhnliches; es werden aber in der Regel viele Linien etc. durch andre verdeckt, weil man behufs bequemerer Herstellung der Zeichnung das Objekt gern so stellt, daß möglichst viele Flächen parallel zur vertikalen Ebene oder senkrecht auf ihr stehen. Diese Übelstände fallen weg, wenn man das Objekt auf eine schräg geneigte Fläche orthogonal projiziert; das Bild gewährt dann den Anblick, welchen das (in der Richtung der Projektionsstrahlen

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 13. Bibliographisches Institut, Leipzig 1889, Seite 403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b13_s0403.jpg&oldid=- (Version vom 16.3.2022)