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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 13

wird mehr und mehr sichelförmig, bis ganz in der Nähe der Sonne der Planet unsichtbar wird, teils wegen der Nähe der Sonne, teils weil er der Erde seine dunkle Seite zukehrt, wie der Mond beim Neumond. Während dieser ganzen Zeit nimmt der scheinbare Durchmesser der Venus beständig zu, eine Folge ihrer Annäherung an die Erde. Bei der Sonne angelangt, befindet sie sich zwischen uns und der Sonne; man sagt dann, sie stehe in der untern Konjunktion (s. d.) mit der Sonne. Manchmal, aber selten, sieht man sie dann als kleine dunkle Scheibe von O. nach W. vor der Sonne vorübergehen, was man als Durchgang der Venus durch die Sonne bezeichnet. Bald nach der untern Konjunktion wird der Planet als Morgenstern kurz vor Sonnenaufgang sichtbar; im Fernrohr zeigt er sich dann als eine schmale, der Sonne die konvexe Seite zukehrende Sichel. Von Tag zu Tag steht er nun früher vor der Sonne am Himmel, die Lichtgestalt nimmt zu, bis man endlich, wenn die größte Abweichung von der Sonne nach W. erreicht ist, die ganze linke Hälfte der Planetenscheibe beleuchtet sieht, wie beim Mond im letzten Viertel. Der Durchmesser des P. ist in dieser Zeit immer kleiner geworden, derselbe entfernt sich von der Erde. Diese Abnahme des scheinbaren Durchmessers dauert auch noch fort, wenn die Venus sich wieder der Sonne nähert, also früh immer kürzere Zeit vor der Sonne aufgeht, bis sie endlich in den Strahlen der aufgehenden Sonne unsichtbar wird. Während dieser Annäherung an die Sonne hat die Lichtgestalt beständig zugenommen; doch vermögen wir die vollständig beleuchtete Scheibe, die uns der Planet zukehrt, wenn er bei der Sonne steht, eben wegen der Nähe der Sonne nicht zu sehen. Venus ist jetzt am weitesten von uns entfernt, ihr Durchmesser erscheint uns am kleinsten; wir sagen, sie stehe in der obern Konjunktion mit der Sonne; beide Gestirne haben gleiche Länge. Einige Zeit nachher bemerken wir den P. wieder am Abendhimmel; er geht kurz nach Sonnenuntergang unter und zeigt eine beinahe vollständig beleuchtete Kreisscheibe. Immer weiter entfernt sich jetzt Venus auf der Ostseite von der Sonne, immer länger steht sie am Abendhimmel; dabei nimmt ihr scheinbarer Durchmesser beständig zu, die Lichtgestalt aber ab, bis endlich in der größten östlichen Abweichung von der Sonne nur noch die rechte Hälfte der Kreisscheibe beleuchtet ist. Von da an beginnt derselbe Wechsel der Erscheinungen von neuem. Die Venus zeigt also Phasen wie der Mond; doch ist, abweichend von diesem, die Sichel bei der Zunahme der Lichtgestalt auf der linken, bei der Abnahme auf der rechten Seite, wenn der Planet aus der östlichen Elongation in die westliche übergeht. Nach der wechselnden Stellung gegen die Sonne betrachten wir nun die Bewegung unter den Fixsternen. Wird Venus kurz nach der obern Konjunktion als Abendstern sichtbar, so ist ihre scheinbare Bewegung schnell und zwar rechtläufig oder direkt, d. h. in der Reihenfolge der Zeichen des Tierkreises von W. nach O. Je weiter sie sich aber von der Sonne nach O. entfernt, desto langsamer wird ihre Bewegung, und wenn sie den Abstand von 461/2° von der Sonne erreicht hat, so nähert sie sich dieser wieder langsam, wobei sie aber gegen die Zeichen immer noch rechtläufig ist. Hat sie sich der Sonne bis auf 28° genähert, so tritt ein Stillstand in ihrer Bewegung gegen den Fixsternhimmel ein: sie ist stationär geworden. Nach diesem Stillstand aber fängt sie an, sich der Sonne mit retrograder oder rückläufiger Bewegung, d. h. gegen die Reihenfolge der Zeichen des Tierkreises oder von O. nach W., mit zunehmender Geschwindigkeit zu nähern. Zur Zeit ihrer schnellsten retrograden Bewegung, bei ihrer untern Konjunktion, verschwindet sie in den Strahlen der Sonne, um einige Zeit nachher als schmale Sichel westlich von der Sonne als Morgenstern zu erscheinen, entfernt sich dann von der Sonne mit abnehmender Geschwindigkeit bis auf 28° und wird in diesem Abstand zum zweitenmal stationär. Die Zeit der retrograden Bewegung der Venus vom östlichen bis zum westlichen Stillstand beträgt 41 Tage. Von dem Punkt ihres westlichen Stillstandes beginnt wieder langsam ihre rechtläufige Bewegung, wobei sie, weil ihre Bewegung anfangs langsamer als die der Sonne ist, hinter dieser allmählich bis auf 461/2° zurückbleibt. Von da beginnt sie bei immer geschwinder werdender rechtläufiger Bewegung sich der Sonne wieder zu nähern, bis sie dieselbe in ihrer obern Konjunktion erreicht, um dann ihren Lauf in der angegebenen Weise von neuem zu beginnen. Der Zeitraum, innerhalb dessen der Verlauf der besprochenen Erscheinungen vor sich geht, beträgt 582 Tage; der Bogen aber, um welchen sich die Venus gegen die Fixsterne rückläufig bewegt, mißt 16°. Ganz ähnliche Erscheinungen bietet der Merkur dar, nur entfernt er sich höchstens 23° östlich und westlich von der Sonne, wird schon in 18° Entfernung von ihr stationär und vollendet den ganzen Wechsel der Erscheinungen in 116 Tagen, wovon auf die Zeit seiner rückläufigen Bewegung 171/2 Tage kommen, während der bei letzterer durchlaufene Bogen 121/2° beträgt.

Andre Erscheinungen bieten die obern P. in ihrer scheinbaren Bewegung dar. Der uns nächste von diesen ist Mars. Wie Merkur und Venus, steht auch er zuweilen in Konjunktion mit der Sonne und verschwindet dann in ihren Strahlen, um einige Zeit nachher rechts oder westlich von ihr wieder sichtbar zu werden. Er geht kurz vor der Sonne auf und erscheint dann in seiner kleinsten sichtbaren Größe. In Beziehung auf die Fixsterne ist Mars bei diesem Stand rechtläufig und zwar mit der größten Geschwindigkeit, doch entfernt er sich dessenungeachtet immer weiter von der schneller nach O. vorrückenden Sonne und geht immer früher vor ihr auf. Nach und nach aber wird seine Geschwindigkeit geringer und seine Entfernung von der Sonne immer größer, bis er bei einem westlichen Abstand von ungefähr 137° von der Sonne stationär wird. Setzt er sich dann wieder in Bewegung, so ist diese etwa 70 Tage lang rückläufig und erscheint dann am geschwindesten, wenn er 180° von der Sonne entfernt, ihr also gerade gegenüber oder in Opposition mit ihr steht. Indem die westliche Entfernung des P. von der Sonne über 180° wächst, findet von O. her eine Annäherung beider Himmelskörper statt, und wenn der Planet 137° östlich von der Sonne steht, so wird er zum zweitenmal stationär und nähert sich nun bei rechtläufiger Bewegung der Sonne bis zur Konjunktion mit derselben, um dann in der angegebenen Weise seinen Lauf von neuem zu beginnen. Derselbe wird in einem Zeitraum von 780 Tagen vollendet. Mit dem Fernrohr betrachtet, erscheint Mars zwar nicht immer als vollkommene Scheibe; doch fehlt nur wenig daran, und sichelförmig wird er nie gesehen. Ähnlich wie Mars verhalten sich auch die andern obern P. Dieselben kommen also mit den untern darin überein, daß sie sich ebenfalls mit ungleichförmiger Geschwindigkeit zu bewegen scheinen, recht- und rückläufig und dazwischen stationär werden; es kommen aber die obern nie in untere, sondern nur in obere Konjunktion mit der Sonne, dafür aber auch

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 13. Bibliographisches Institut, Leipzig 1889, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b13_s0107.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2021)