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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 12

und der Wurzeln auf dem gefrornen Boden mit Laub, strohigem Mist u. dgl. Die Frostplatten an unsern gewöhnlichen Obstbäumen verhindert man durch oben schon erwähnten Anstrich mit Kalkmilch (durch die weiße Farbe). Den späten Winter- (Mai-) Frösten begegnet man in großem Maßstab mit künstlicher Wolkenbildung durch Anzünden und langsames Brennen geteerten Torfs in kleinen Häufchen, mit denen man das zu schützende Feld umgibt; einzelne Bäume oder Sträucher schützt man durch Leinwand- und andre Decken oder durch Aufhängen zahlreicher Strohhalme. Über Brand, Krebs und Gummifluß s. d. Auch die Feinde aus dem Tierreich werden dem gesunden Obstbaum weniger schaden als dem kranken. Über Ernte und Aufbewahrung des Obstes s. d.

Geschichte des Obstbaues.

Der Obstbau ist so alt wie die Kultur überhaupt. In den Felsengräbern von Beni Hassan in Ägypten finden sich Abbildungen des Acker- und Gartenbaues, und aus dem alten Indien erzählen Megasthenes und Râmâyana vom Lusthain der Stadt Ajodjha und deren Gärten, die zum großen Teil mit dem Mangobaum (Mangifera indica), mit dem feinsten Obst in Ostindien bepflanzt waren. Deutlich ist der O. in der Odyssee und Ilias beschrieben. Besondere Sorgfalt widmete der ältere Kyros (560–529 v. Chr.) dem O., und die großen Heerstraßen, welche die entferntesten Provinzen mit der Hauptstadt verbanden, wurden mit Obstbäumen eingepflanzt. Der Obstbau galt für eine königliche Beschäftigung, und die persischen Könige pflanzten bei feierlichen Gelegenheiten an geweihten Stellen mit eigner Hand Obstbäume. Als Xerxes auf seinem Zug nach Griechenland einen Apfelbaum mit besonders schönen Früchten sah, ließ er ihn mit goldenen Zieraten schmücken. Die alten Römer hatten bei ihren Villen meist einen besondern O. (pomarium). Cato beschreibt 6 verschiedene Birnen- und 2 Äpfelsorten, Columella 7 Äpfel- u. 20 Birnensorten, Plinius kennt schon 25 Äpfel-, 36 Birnen- u. 8 Kirschensorten. Lucullus brachte den veredelten Sauerkirschbaum (Prunus Cerasus L.) mit reifen Früchten von dem zerstörten Kerasus nach Rom. Der Süßkirschbaum (Prunus Avium L.) war schon längst bekannt, und bei den Griechen und Orientalen waren Kirschen von jeher eine beliebte Speise und überall angepflanzt. Die Quitte war bei den Alten als Symbol des Glücks, der Liebe und der Fruchtbarkeit der Aphrodite geweiht, und der Apfel der Venus war unsre Apfelquitte. Der Pflaumenbaum kam zu Catos Zeiten nach Italien, zur Zeit der Kreuzzüge nach Deutschland. Zur Zeit Alexanders d. Gr. wurde der Aprikosenbaum aus Armenien nach Rom gebracht; in Griechenland ist er heute überall angepflanzt und gibt dort ausgezeichnetes Obst. Die Mandeln von Naxos und Cypern waren im Altertum berühmt, die Stadt Mygdale in Oberlydien hat vom Mandelbaum (Amygdalus) den Namen erhalten. Der Pfirsichbaum stammt ebenfalls aus dem Orient und Persien, von wo er nach Griechenland und Rom kam. Durch Cäsar mag die Kenntnis vom Obstbau auch nach Deutschland gekommen sein, und das Salische Gesetz kennt gepfropfte Obstbäume. Karl d. Gr. widmete seinen Obstgärten, namentlich in Ingelheim, große Sorgfalt und ließ auf allen seinen Domänen am Ufer des Mains und seiner Nebenflüsse solche anlegen. 1555 erschien „Das Künstliche Obstgartenbüchlein“ des Kurfürsten August von Sachsen; derselbe Fürst erließ ein Gesetz, wonach jedes junge Ehepaar mindestens zwei Obstbäume pflanzen mußte. Ums Jahr 1600 beschrieb Ollivier de Serres, genannt „der Vater des Landbaues“, in Frankreich 46 Äpfel- und 69 Birnensorten, Parkinson in England in seinem „Paradisus terrestris“ 57 Äpfel-, 64 Birnen-, 62 Pflaumen- und 33 Kirschensorten, Quintinye, „der Vater der Pomologie“ zur Zeit Ludwigs XIV. (1670), 60 Äpfel- und 164 Birnensorten. Knoop in Holland gab 100 Jahre später (1760) in seinem „Hortulanus mathematicus et scientiarum amator“ eine ausführliche Beschreibung eines Teils von Europas Obstsorten heraus. Auch Deutschland, Dänemark, Nordamerika bemühten sich, ihre Obstsorten kennen zu lernen und mit der Einführung besserer Sorten auch deren Pflege zu verbessern. Sickler gab 1794 seinen „Teutschen Obstgärtner“ heraus. Jedenfalls wirkte die Zerstückelung Deutschlands in viele kleine Länder und Ländchen günstig auf den Obstbau. Die Könige, Fürsten und Herren wohnten im Sommer auf ihren ländlichen Besitzungen, im Winter in einer großen Stadt, oft in Paris, von wo sie Obstbäume und Obstreiser, auch die Kenntnis besserer Kulturmethoden (z. B. die Behandlung der Spalier- und andrer Zwergbäume) mit herüberbrachten. Auch haben Erzbistümer, Bistümer und kleinere geistliche Stifter den Obst- u. Weinbau ganz bedeutend gefördert. Im Fürstentum, spätern Herzogtum, der jetzigen Provinz Nassau haben diese kleinen Residenzen lange Zeit als zivilisatorische Knotenpunkte auch für den Obstbau gewirkt, und so konnten dort Christ und Diel beinahe gleichzeitig sich zu hervorragenden Pomologen bilden. Sie beschäftigten sich hauptsächlich mit Kernobst, zwei andre mehr mit Steinobst: das System des Freiherrn Truchseß v. Wetzhausen (1819) ist bis heute noch ebenso unübertroffen wie die 1838 erschienene Klassifikation der Pflaumen von Liegel. Auch die Kurfürsten von Brandenburg und Könige von Preußen haben viel für den Obstbau ihrer Länder gethan. Friedrich Wilhelm III. ernannte einen Pomologen, den Oberhofbaurat Manges, 1787 zum Direktor der königlichen Gärten, der 1780–1783 in Leipzig eine Klassifikation der Obstsorten hatte erscheinen lassen, in der überall das Bestreben für die Beförderung und Verbesserung des vaterländischen Obstbaues sichtbar ist. Von spätern Pomologen und Obstzüchtern sind zu nennen: Jahn in Meiningen (gest. 1867), v. Flotow in Dresden (gest. 1870), Borchers in Herrenhausen bei Hannover (gest. 1872), André Leroy in Angers (gest. 1875), Oberdieck (s. d.), Lucas (s. d.), Lepère in Montreuil bei Paris, Hardy und Dubreuil in Paris, Baltet in Troyes, Decaisne in Paris (gest. 1882), dessen Abbildungen von Obstsorten, namentlich Birnen, bisher von niemand erreicht wurden, Lauche (s. d.) in Potsdam, de Jonghe in Brüssel, als Züchter neuer Obstsorten bekannt, und Bruun bei Helsingör in Dänemark. Es ist anzunehmen, daß die zahlreichen Lehranstalten für Obstbaumzüchter, die hier und da in Deutschland entstanden sind, im höchsten Grad segensreich wirken werden für die Ausbreitung einer verständigen Obstbaumzucht. In den mittlern Staaten Nordamerikas, in den Distrikten in der Nähe der Großen Seen, werden im Durchschnitt jährlich für 160 Mill. Mk. Äpfel und in Pennsylvanien, Delaware bis Michigan u. a. O. für 240 Mill. Mk. Pfirsiche gebaut, die zum Teil nach Europa versendet werden, meist in gedörrtem Zustand. In Frankreich besaß der Ort St.-Bris, Departement Yonne, noch vor 20 Jahren 10 Hektar völlig unbenutzten Bodens, der später zur Anpflanzung von Obst-, hauptsächlich

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 12. Bibliographisches Institut, Leipzig 1888, Seite 313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b12_s0313.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2021)