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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 11

ein Kauf, bez. Verkauf auf Kredit mit Ratenzahlung, Vorbehalt des Eigentums bis zur vollständigen Zahlung des Kaufpreises und einer Verfallklausel des Inhalts, daß die einmal geleisteten Zahlungen auf jeden Fall dem Verkäufer verfallen sein sollen, dann der gewerbsmäßige Betrieb solcher Abzahlungsgeschäfte (Warenabzahlungsgeschäfte, Warenkreditbazare etc.). Dem Wortsinn nach ist eigentlich jeder Kauf auf Kredit mit Ratenzahlung ein Abzahlungsgeschäft, doch wird dieses Wort in neuester Zeit in der obigen ganz speziellen Bedeutung genommen.

Nach positivem Recht geht nämlich beim Kreditkauf, ebenso wie beim Barkauf, das Eigentum an dem Gegenstand regelmäßig mit dessen Übergabe auf den Käufer über. Will sich also beim Kreditkauf der Verkäufer bis zur vollständigen Abzahlung des Kaufpreises das Eigentum vorbehalten, so muß er dies ausdrücklich mit dem Käufer vereinbaren und kann dann, sobald der Käufer auch nur mit einer Rate im Rückstand bleibt, die Sache zurücknehmen; ist nun dem Vertrag auch noch die oben erwähnte Verfallklausel hinzugefügt, so braucht der Verkäufer, auch wenn er den Gegenstand wieder zurücknimmt, die bereits geleisteten Beträge nicht mehr herauszugeben, sie sind zu seinen gunsten verfallen. An und für sich kann jede Ware, auch Wertpapiere, Gegenstand eines Abzahlungsgeschäfts sein, am häufigsten aber werden Maschinen (namentlich Nähmaschinen), musikalische Instrumente (namentlich Klaviere) auf Abzahlung verkauft; ferner Möbel, Betten (überhaupt Hauseinrichtungsgegenstände), Kleider, Stiefel, Hüte, Schirme, Uhren, Öldruckbilder etc. Gewerbsmäßig betrieben wird das Abzahlungsgeschäft nur bezüglich der letztgenannten Artikel (des täglichen Gebrauchs) und zwar in den sogen. Warenabzahlungsgeschäften oder Warenkreditbazaren, die sich übrigens oft unter Bezeichnungen wie: Ausstattungsgeschäft, Warenbazar etc. verbergen.

Beim Abschluß des Abzahlungsgeschäfts muß der Käufer gewöhnlich einen Vertrag unterschreiben, der außer andern, weniger wesentlichen, die obigen wesentlichen Bestimmungen enthält, ferner wird ihm ein Quittungsformular (in Form einer Karte oder eines Büchelchens, sogen. Kontrabuch) ausgehändigt, in welchem die Zahlungen quittiert werden, und das ebenfalls die Vertragsbedingungen enthält. Der Vertrag selbst ist entweder ein eigentlicher Kaufvertrag oder ein Mietvertrag (fälschlich oft als Leihvertrag bezeichnet). In letzterm wird vereinbart, daß z. B. das Geschäft X eine Ware dem Y gegen einen monatlichen (oder wöchentlichen) Mietzins (fälschlich Leihgebühr) vermietet (leiht), daß bei Nichtentrichtung des Mietzinses der Vertrag aufgehoben sein soll, daß dagegen, wenn die Summe der geleisteten Mietzinsen eine bestimmte Höhe (die Höhe des Abzahlungskaufpreises) erreichen wird, der Mietgegenstand in das Eigentum des Mieters übergehen soll, also analoge Bedingungen wie beim Kaufvertrag. Der Mietvertrag ist hauptsächlich in norddeutschen und aus Norddeutschland stammenden Geschäften üblich (wohl hauptsächlich wegen der ungünstigen Behandlung des Eigentumsvorbehalts beim Kauf durch das preußische Landrecht).

Das Abzahlungssystem stammt aus England und Nordamerika und wurde in Deutschland zuerst beim Verkauf von Nähmaschinen angewendet. In Deutschland wurde das erste eigentliche Warenabzahlungsgeschäft 1854 in Hamburg errichtet, von wo sich diese Geschäfte rasch über ganz Deutschland ausbreiteten und stark vermehrten. Gegenwärtig gibt es in Berlin über 100 eigentliche Warenabzahlungsgeschäfte, in München 17 (im J. 1878: 4), in Leipzig 12, in Mannheim 5. Der gegenwärtige Umfang des Abzahlungsgeschäfts überhaupt geht aus der Thatsache hervor, daß im Handelskammerbezirk Bielefeld nahezu zwei Drittel aller Nähmaschinen auf Abzahlung gekauft werden.

Über die volkswirtschaftliche Berechtigung der Abzahlungsgeschäfte hat sich in den letzten Jahren ein lebhafter Streit entsponnen.

Vor allem hat man, und mit Recht, die Härte und ökonomische Unbilligkeit getadelt, welche darin liegt, daß ein vielleicht ganz schuldlos in augenblickliche Zahlungsunfähigkeit geratener Käufer die gekaufte Sache herausgeben muß und die bereits geleisteten Beträge, welche den Kaufpreis vielleicht nahezu erreicht haben, verlieren soll. Dagegen hat sich durch die thatsächlichen Erhebungen die Meinung als ungerechtfertigt erwiesen, als ob die Abzahlungsgeschäfte gegen ihre Kunden inkulant seien, schon bei der ersten Zahlungsstockung die ihnen vertragsmäßig zustehenden Rechte aufs äußerste ausnützten, ja, daß die Abzahlungsgeschäfte bloß deshalb gegründet worden seien, um mittellose Leute (denn aus diesen rekrutiert sich der Natur der Sache nach das Kundenpublikum dieser Geschäfte) ausbeuten zu können.

Man hat ferner gesagt, daß die in die Augen springende Bequemlichkeit des Abzahlungssystems die unbemittelten Volksklassen dazu verleite, mit Hilfe des Kredits Ausgaben zu machen, welche sich durch ein dringendes Bedürfnis nicht rechtfertigen lassen. Auch wird behauptet, daß die Abzahlungsgeschäfte, trotzdem sie durch Eigentumsvorbehalt etc. sich einigermaßen sicherstellen können, doch infolge des immerhin großen Risikos einen hohen Preis bei geringer Qualität der Ware berechnen müssen, um so mehr, da sie bestrebt seien, einen außergewöhnlichen Gewinn zu machen. Dies ist thatsächlich richtig, hat aber seinen Grund nicht im Abzahlungssystem als solchem, sondern in dem Umstand, daß das Abzahlungsgeschäft sozusagen ein Monopol der unreellen Elemente in der Geschäftswelt ist, indem die reellen Kaufleute vor dem Kreditieren an unsichere Leute zurückschrecken, die unsoliden dagegen das Kreditsystem benutzen, um sich einen Absatz zu verschaffen, den sie sonst nicht hätten.

Allen diesen Nachteilen gegenüber muß man anderseits zugestehen, daß beim Handel mit Werkzeugen und Maschinen (z. B. Nähmaschinen) wenigstens das System der Abzahlung einen sehr schwerwiegenden Vorteil dadurch bietet, daß es arbeitsfähigen und arbeitslustigen, aber unbemittelten und deshalb sonst kreditlosen Leuten die einzige Möglichkeit gewährt, sich die nötigen Produktionsmittel auf dem Weg des Kredits zu verschaffen, weshalb man mit Recht das Abzahlungssystem als für Handwerker und Hausindustrielle unentbehrlich bezeichnet.

Die von den Gegnern der Abzahlungsgeschäfte zur Abhilfe empfohlenen Maßregeln beruhen teils auf Staats-, teils auf Selbsthilfe. Die Staatshilfe wird in Anspruch genommen durch den Vorschlag, Eigentumsvorbehalt oder Verfallklausel oder beides für rechtsunwirksam zu erklären. Aber abgesehen davon, daß es immerhin mißlich ist, eine so einschneidende Änderung des Zivilrechts um der Schädlichkeit einer einzelnen volkswirtschaftlichen Erscheinung willen vorzunehmen, würde eine solche gesetzliche Bestimmung das Abzahlungssystem nicht nur von seinen Auswüchsen befreien, sondern ganz unmöglich machen. Andre möchten die Abzahlungsgeschäfte den gewerbepolizeilichen Beschränkungen unterworfen wissen, denen die

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 11. Bibliographisches Institut, Leipzig 1888, Seite 1026. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b11_s1026.jpg&oldid=- (Version vom 3.9.2021)