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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 11

Anatomie, die auf Rokitanskys Schultern ruht und durch Virchows Genius mit Ideen befruchtet worden ist, trägt der praktischen M. eine Leuchte voran und verspricht, über das Wesen der Einzelerkrankungen wie über das Wesen der Krankheit überhaupt noch reiche Aufschlüsse zu geben. Chirurgie und Geburtshilfe sind durch vervollkommte Methoden und Instrumente wie durch geläuterte Anschauungen von den Krankheits- und Heilungsprozessen auf eine respektable Höhe gebracht worden. Ihre Spezialfächer, wie Augen- und Ohrenheilkunde, haben sich an diesen Fortschritten beteiligt, und es genügt, in dieser Beziehung nur an die Erfindung des Augenspiegels von seiten des genialen Physiologen Helmholtz, an den Kehlkopfspiegel etc. zu erinnern. Von der innern M. gilt Ähnliches; sie baut nicht mehr nosologische Systeme, huldigt aber um so mehr einer gründlichen und allseitigen Krankenuntersuchung. Am wenigsten trostreich ist der Zustand der Therapie, besonders der Therapie innerer Krankheiten. Hier wird noch allen Richtungen, selbst den entgegengesetztesten, gehuldigt, und alle Hebel zur Bekämpfung der Krankheiten werden, leider nur zu oft ohne festes Prinzip und genügende Erfahrungsunterlagen, in Bewegung gesetzt. Erwägt man aber den Gang der Entwickelung, welchen die M. in den letzten Dezennien genommen hat, so darf man getrost der Zukunft entgegensehen und hoffen, daß die M. eine immer breitere und festere, echt wissenschaftliche Basis erhalten und in ihren Leistungen immer mehr den Anforderungen genügen werde, die man an die Wissenschaft vom Leben und an die Kunst, dieses zu verlängern und zu verschönern, stellen darf.

Vgl. Sprengel, Versuch einer pragmatischen Geschichte der Arzneikunde (3. Aufl., Halle 1821–28, 5 Bde.); Hecker, Geschichte der Heilkunde (Berl. 1822 bis 1829, 2 Bde.); Häser, Lehrbuch der Geschichte der M. und der epidemischen Krankheiten (3. Aufl., Jena 1875–82, 3 Bde.); Derselbe, Grundriß der Geschichte der M. (das. 1884); Baas, Grundriß der Geschichte der M. und des heilenden Standes (Stuttg. 1876); Derselbe, Leitfaden der Geschichte der M. (das. 1880); Rohlfs, Geschichte der deutschen M. (das. 1875–83, Tl. 1–4); Petersen, Hauptmomente in der geschichtlichen Entwickelung der medizinischen Therapie (Kopenh. 1877); Canstatt, Jahresbericht über die Leistungen und Fortschritte in der gesamten M. (Würzb. 1851–65, fortgesetzt von Virchow und Hirsch). Von neuern encyklopädischen Werken sind zu erwähnen: Littré, Dictionnaire de médecine etc. (15. Aufl., Par. 1884); „Nouveau dictionnaire de médecine et de chirurgie pratiques“ (hrsg. von Jaccoud, das. 1864–86, 40 Bde.); „Dictionnaire encyclopédique des sciences médicales“ (hrsg. von Dechambre, 1864 ff., ca. 100 Bde.); Eulenburgs „Realencyklopädie der gesamten Heilkunde“ (Wien 1880–83, 15 Bde.; 2. Aufl. 1884 ff.), zu welcher das „Biographische Lexikon der hervorragendsten Ärzte“ (hrsg. von Wernich und A. Hirsch, das. 1884 ff.) eine Ergänzung bildet; Villaret, Handwörterbuch der gesamten M. (Stuttg. 1887). Zeitschriften: „Archiv für Anatomie und Physiologie“ (His, Braune, du Bois-Reymond); Virchows „Archiv für pathologische Anatomie“; Langenbecks „Archiv für klinische Chirurgie“; „Archiv für Psychiatrie“ (Westphal); „Deutsches Archiv für klinische M.“ (Ziemssen, Zenker); „Archiv für Augenheilkunde“ (Knapp, Schweigger); Sitzungsberichte der Wiener Akademie; die Prager „Vierteljahrsschrift“; „Deutsche medizinische Wochenschrift“ (Berlin); „Berliner klinische Wochenschrift“; „Wiener medizinische Presse“; „Wiener medizinische Wochenschrift“; „Archives générales“ (Paris); „Comptes rendus de l’académie“ (das.); „L’Union médicale“; „La Presse médicale Belge“; „Transactions of the Royal Medical Society“ (London); „The Lancet“; „British medical Times“; „New York medical Times and medical Record“; „Il Morgagni“; „Archivo per le scienze mediche“.

Medizinalbehörden. Da außer der beratenden Behörde des Reichsgesundheitsamtes eine einheitliche Organisation der M. für das Deutsche Reich noch nicht geschaffen ist, so leitet jeder Bundesstaat des Reichs seine Medizinalangelegenheiten nach eignen Gesetzen. Für Preußen ist die oberste Behörde der Kultusminister, unter welchem in der Medizinalabteilung ein Direktor und mehrere teils vortragende, teils technische Räte arbeiten. Der Geschäftskreis dieser Zentralbehörde umfaßt: a) Die oberste Leitung der gesamten Medizinal- und Sanitätspolizei mit Ausnahme des dem landwirtschaftlichen Ministerium unterstellten Veterinärwesens. b) Die Aufsicht über die Qualifikation des Medizinalpersonals, die Verwendung desselben im Staatsdienst und die Handhabung der Disziplinargewalt. c) Die Oberaufsicht über alle öffentlichen und Privatkrankenanstalten. Unmittelbar unter dem Minister stehen folgende Behörden: 1) Die wissenschaftliche Deputation für das Medizinalwesen in Berlin, deren Geschäftskreis, durch Instruktion vom 23. Jan. 1817 bestimmt, wesentlich in Begutachtung medizinisch wichtiger Fragen auf dem Gebiet der Rechtspflege oder der Verwaltung oder des Prüfungswesens besteht. Die Deputation ist aus einem Direktor, aus ordentlichen und außerordentlichen Mitgliedern zusammengesetzt, hält wöchentlich regelmäßig eine Sitzung ab und ist oberste Instanz über alle durch die technischen Provinzialbehörden oder durch nicht beamtete Ärzte abgegebenen Gutachten. 2) Die für Prüfung der Medizinalpersonen an den Universitäten bestehenden Examinationskommissionen. 3) Die technische Kommission für pharmazeutische Angelegenheiten vom 27. Okt. 1849.

Die M. in den einzelnen Provinzen stehen direkt unter den Oberpräsidenten als höchsten Verwaltungsbeamten der Provinz und zerfallen in: a) Medizinalkollegien, welche ihren Sitz im Hauptort der Provinz haben, rein wissenschaftliche und technisch ratgebende Behörden für die Regierungen und Gerichte im Fach der gerichtlichen Medizin sind und mithin keine Verwaltung haben. Nach der Instruktion vom 22. Sept. 1867 (Gesetzsammlung, S. 1570) sollen sie mindestens aus fünf Mitgliedern, Räten und Beisitzern bestehen, unter denen sich außer einem wissenschaftlichen Wundarzt und einem Geburtshelfer ein Pharmazeut und ein Tierarzt befinden sollen. Ihre Obliegenheiten und Befugnisse sind hauptsächlich die Angabe und Begutachtung allgemeiner Maßregeln zur Beförderung der medizinischen Wissenschaft und Kunst, zur Ausbildung der Medizinalpersonen und Beamten, zur Einrichtung öffentlicher Medizinalanstalten, Beurteilung allgemeiner Pläne zur Vervollkommnung der Medizinalpolizei, Revision der Reglements, Taxen, Überwachung der Impfungen, Vorbeugung gegen Seuchen unter Menschen und Tieren, Abfassung und Prüfung gerichtsärztlicher Gutachten, Besichtigung der Apotheken, der öffentlichen und privaten Irren-, Heil- und Pfleganstalten etc. b) Kreismedizinalbehörden, welche aus dem Landrat als Vorsitzendem, einem Kreisphysikus, Kreiswundarzt und Kreistierarzt bestehen. Die Kreisphysiker müssen promovierte Ärzte sein, welche ein Physikatsexamen

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 11. Bibliographisches Institut, Leipzig 1888, Seite 406. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b11_s0406.jpg&oldid=- (Version vom 4.3.2022)