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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 10

Beim Fanejelmbrenner strömt die Wassergasflamme auf porzellanhart gebrannte Magnesiacylinder. Eine nicht leuchtende Gasflamme wird auch leuchtend, wenn man das Gas mit Dämpfen sehr flüchtiger Kohlenwasserstoffe imprägniert. Schwach leuchtendes Kohlengas kann durch solche Karburation (Karbonisation) wesentlich verbessert werden. Dies geschieht in verschiedener Weise. Man leitet z. B. bei dem Whiteschen oder Hydrokarbonprozeß Wassergas mit Wasserdampf durch eine Retorte, in welcher aus Kannel- oder Bogheadkohle ein sehr leuchtkräftiges Gas dargestellt wird. Das Wassergas führt hierbei die leuchtenden schweren Kohlenwasserstoffe schnell aus der Glühhitze fort, so daß sie sich weniger zersetzen, und der Wasserdampf gibt zur Bildung von Wasserstoff Veranlassung, welcher die Temperatur und damit die Leuchtkraft der Flamme erhöht. Man kann auch das Gas am Konsumtionsort durch ein Gefäß leiten, welches sehr flüchtiges Mineralöl (Benzin, Ligroin) oder erwärmtes Naphthalin (Albokarbonlampe) enthält. Das Gas reißt von diesen Körpern so viel Dampf mit fort, daß es mit leuchtender Flamme verbrennt. Selbst atmosphärische Luft kann man mit Dämpfen flüchtigster Öle imprägnieren und derartiges Luftgas sogar in eigentümlich konstruierten Lampen direkt für den Gebrauch bereiten. Bei geringwertigem L. kann die Leuchtkraft durch Karburation auf das Dreifache gesteigert werden. Es ist aber nicht gelungen, die Karburation im großen auszuführen, weil sich die von dem Gas aufgenommenen Dämpfe in der Röhrenleitung stets wieder kondensieren. Das karburierte Gas hat man zur Erzielung größerer Leuchtkraft mit reinem Sauerstoffgas verbrannt (Sauerstoffbeleuchtung, Karboxygenlicht); doch führten die Versuche nicht zu ökonomisch günstigen Resultaten. Philipps hat eine Lampe konstruiert, auf welcher die Sauerstoffbeleuchtung mit Dämpfen aus einer kohlenstoffreichen Flüssigkeit (Lösung von Naphthalin in Petroleum) billiger u. bequemer ausgeführt werden kann.

Steinkohlengas ist farblos, von eigentümlichem Geruch; spez. Gew. 0,44–0,62, je nach der Beschaffenheit der Kohle und der Temperatur, bei welcher es dargestellt wurde. Es besteht aus gas- und dampfförmigen schweren Kohlenwasserstoffen (hauptsächlich Äthylen), welche mit den Dämpfen flüssiger Kohlenwasserstoffe, wie Benzol, die Leuchtkraft der Flamme bedingen, leichten Kohlenwasserstoffen (Methan), Kohlenoxyd und Wasserstoff, welch letztere drei Gase mit nicht leuchtender Flamme brennen. Als Verunreinigungen finden sich Kohlensäure, Ammoniak, Schwefelwasserstoff, Schwefelkohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Wasserdampf etc. Der eigentümliche Geruch rührt von Phenylsenföl her. Quantitative Zusammensetzung verschiedener Leuchtgase:

Gasarten Kohlenwasser­stoffgas Kohlen­oxyd Wasser­stoff Kohlen­säure Stick­stoff
schwe­res leich­tes
Holzgas, rohes 7,93 25,32 28,21 13,53 25,01
   gereinigtes 10,57 33,76 37,62 18,05
Torfgas 9,52 42,65 20,33 27,50
L. aus Newcastlekohle 9,68 41,38 15,64 33,30
Heidelberg. Kohlengas 7,27 38,40 5,73 44,00 0,37 4,23
Bonner Kohlengas 4,75 43,12 4,66 39,80 3,02 4,65
Chemnitzer Kohlengas 4,91 36,45 4,15 51,29 1,08 1,41
Lesmahagow 16,31 42,01 14,18 26,84 0,66
Boghead 24,50 58,38 6,58 10,54
Petroleumgas 31,60 45,70 32,70
Paraffinölgas 28,29 54,92 8,94 5,65 0,82

L. erfordert zur Entzündung nur helle Rotglut, eine viel niedrigere Temperatur als Grubengas, weshalb die Sicherheitslampe, um in L. sicher zu sein, mit einem sehr dichten Drahtnetz versehen werden muß. Die Explosionsfähigkeit des Leuchtgases beginnt bei einer Mischung von 1 Volumen Gas auf 13–16 Vol. Luft, hört auf bei 4 Vol. Luft auf 1 Vol. Gas und ist am stärksten bei 1 Vol. auf 10 bis 12 Vol. Luft. Ein Gemisch von 1 Vol. L. und 4 Vol. Luft verbrennt ruhig, mit 5 Vol. Luft schnell, aber ohne Knall, mit 6–10 Vol. Luft bereits mit starker Detonation. Eine Beimischung von wenig Luft zum L. zerstört die Leuchtkraft desselben. Das lufthaltige Gas brennt mit blauer, nicht rußender Flamme wie Spiritus. L. wirkt unter Umständen giftig auf Pflanzen und Tiere, wozu wohl in erster Linie das Kohlenoxyd und die Dämpfe der Teerbestandteile beitragen. Eine Beimischung von 3 Proz. L. zur Zimmerluft soll einen Menschen töten können, doch ist schon 1/10,000 durch den Geruch erkennbar. Im Boden wirken die im L. enthaltenen Dämpfe schädlich auf die Wurzeln, namentlich im Winter, wo das Gas schwieriger aus dem Boden entweichen und weniger Sauerstoff zutreten kann; nach andern Erfahrungen besonders in der Wachstumsperiode. Eine Ausströmung von nur 0,772 cbm pro Tag, auf 17,8 qm Boden verteilt, tötet die Wurzelspitzen der Bäume jeder Art in kurzer Zeit. Reines L. verbrennt zu Kohlensäure und Wasser, enthält es aber Schwefelwasserstoff (färbt es Bleizuckerpapier braun), so verbrennt dieser zu schwefliger Säure, ein Ammoniakgehalt (erkennbar durch die Nebel, welche derselbe an einem mit verdünnter Salzsäure befeuchteten Glasstab hervorbringt) liefert salpetrige Säure, und deshalb ist die sorgfältigste Reinigung des Leuchtgases erforderlich, wenn es in geschlossenen Räumen nicht schädlich wirken soll.

Am Konsumtionsort wird das dem Konsumenten zugeführte Gas durch die Gasuhr (Gasmesser) gemessen. Die trocknen Gasuhren beruhen im wesentlichen auf der von Defries angegebenen Konstruktion, bei welcher sich zwei Lederbälge abwechselnd füllen und entleeren und die dadurch hervorgebrachte Bewegung auf ein Zählwerk übertragen wird, welches die Menge des hindurchgegangenen Gases nachweist. Diese Apparate, welche z. B. in Amerika ganz allgemein, auch in England häufig angewendet werden, haben mit großen Schwierigkeiten hinsichtlich eines geeigneten Materials für die Meßkammern zu kämpfen, während sie im übrigen den nassen Gasuhren vorzuziehen sind. Letztere bestehen aus einem cylindrischen Gehäuse, in welchem eine auf einer Welle befestige vierkammerige Trommel, die reichlich bis zur Hälfte im Wasser (um das Einfrieren zu verhüten, mit Glycerin oder Spiritus vermischt) liegt, unter dem Druck des Gases und der durch denselben zu gleicher Zeit bedingten ungleichen Wasserstände der Gas aufnehmenden und Gas abgebenden Trommelabteilungen sich dreht, wobei die Achse der Trommel eine Zählvorrichtung in Bewegung setzt, um die Zahl der Trommelumgänge, somit das durchgegangene Gas nach Kubikfuß zu zählen. Der richtige Gang der Gasuhr hängt zunächst von der richtigen Normierung des Wasserstandes ab, und diesen überwachen besondere Vorrichtungen, die beim starken Sinken sowohl als beim Steigen des Wassers infolge des Verdunstens, resp. Eintretens von Kondensationswasser aus der Leitung die Ausströmungsöffnung verschließen. Da aber außerdem durch mancherlei Zufälligkeiten Störungen im Gang der Gasuhr eintreten können,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 10. Bibliographisches Institut, Leipzig 1888, Seite 736. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b10_s0736.jpg&oldid=- (Version vom 19.4.2023)